Ingo Arend, born in Frankfurt am Main. Political Scientist and Historian, studied in Bonn and Colonge. Since 1990 cultural journalist and essayist für visual arts, literature and cultural policy. From 1996 to 2010 editor of the german weekly „der freitag“ (editor-in-chief and head of the cultural department from 2007-2009). Editor for the arts of „taz – die tageszeitung“ and „Deutschlandradio Kultur“ in Berlin 2012/13. Member of the Jury for the award for independent project spaces (2013), for the scholarship for visual arts of the berlin senate (2013) and berlin city-tax-scholarships for the arts (2015). Member of the praesidium of nGbK – neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Berlin. Special field: art and history, art and politics, arts, culture and history in turkey and menasa-region.
Weblog: Ästhetics and Democracy: http://www.ingo-arend.de/
»Innen Stadt Außen«: Olafur Eliasson im Berliner Martin Gropius-Bau
Weather Project. Wenn Besucher von der legendären Ausstellung in der Londoner Tate Gallery berichten, kommen ihre Augen noch immer ins Leuchten. Vor knapp sieben Jahren hatte der isländisch-dänische Künstler Olafur Eliasson eine riesige Sonne in eine alte Turbinenhalle des britischen Kunsttempels hängen lassen. Über den Boden waberte Nebel. Tagelang lagen die Besucher verzückt im Bann des glühenden Gestirns. Über zwei Millionen Menschen sahen zur Jahreswende 2003/2004 das Spektakel: die größte Einzelausstellung eines lebenden Künstlers, die es jemals gab. „Schönheit ist machbar“ weiterlesen
Milieutheorie. So hieß in den siebziger Jahren in der Bundesrepublik West ein berüchtigtes Reizwort. Dahinter verbarg sich folgende Idee: Das „Milieu“ (ein anderes Wort für soziales Umfeld) entscheidet über das Schicksal des Menschen. Das bildungsbürgerliche Establishment rannte Sturm gegen die modische Formel, verfocht vehement die Prägekraft der Gene und war folglich den zu dieser Zeit grassierenden, meist sozialdemokratischen Bildungsutopien (Hessische Rahmenrichtlinien, Ludwig von Friedeburg usw.) deutlich abhold. Gesellschaftskritisch sozialisierte Zeitgenossen waren natürlich bedingungslose Anhänger der Milieutheorie. Obwohl ihre wissenschaftstheoretische Absicherung dieser oft ideologisch ventilierten Position oft deutlich mangel- um nicht zu sagen lückenhaft war. Aber so war das halt zu dieser Zeit. Man glaubte felsenfest an das Gute, sprich: das Entwicklungsfähige im Menschen. Man könnte auch sagen: An die Kultur. „Eine unschöne Angelegenheit. Thilo Sarrazin und die Folgen“ weiterlesen
In Berlin schließt die Temporäre Kunsthalle. Sie braucht keinen dauerhaften Nachfolger
Am Ende wieder der Anfang: 160 Werke von 63 Architekten, Designern, Komponisten und Künstlern. Schwer zu sagen, was der Aktionskünstler John Bock da auf dem Berliner Schlossplatz zusammengebaut hatte: Flohmarkt oder Wagenburg, Notunterkunft oder Netzwerk. Zum Abschluss eines zweijährigen Experiments verwandelte sich der 1965 geborene, ästhetische Tausendsassa in einen Kurator und schlug noch einmal das Rad des Gesamtkunstwerks. Martin Kippenberger hängte er da neben Kara Uzelmann, Paul McCarthy neben Heike Aumüller. Die Besucher verloren sich in einem vollgestopften Panoptikum der unerwarteten Begegnungen, der heitersten Anarchie, in einem Irrgarten von high and low. „Die Karawane zieht weiter“ weiterlesen
Wer noch vor ein paar Jahren in die Berliner Auguststrasse fuhr, tat dies meist mit Absicht. Die Idee hinter dem Trip war: Abenteuer. Nichts in der heruntergekommenen Straße in Berlin-Mitte war, wie man es am Abend zuvor verlassen hatte.
Immer eröffnete irgendetwas Neues in dem umtriebigen Soziotop: Kneipen, Ateliers, Gallerien. Und man konnte sicher sein, irgendeinen interessanten Menschen kennenzulernen, den man zuvor noch nie gesehen hatte. Die Auguststrasse war ein Labor für neue Lebensformen. Und ihr Motor war die Kunst.
Wer heute dorthin fährt, den überkommt gähnende Langeweile. Die ungebundene, kreative Energie, die hier einst herrschte, beschränkt sich auf Nobelfriseure, Schokoladenmanufakturen und Exklusivschneidereien. Baumbestandene Penthouses grüßen von den Dächern der penibel restaurierten Gebäude. Heute ist die Auguststrasse ein Parcours der Besserverdienenden.
Gäbe es nicht die Kunst-Werke, niemand käme auf die Idee, dass hier einmal der Hotspot der Umbruchszeiten 89ff war. Und wenn hier etwas von der Kunst auftaucht, die nach dem Mauerfall von hier ihren Ausgang nahm, dann dient es meist der Bestätigung der gehobenen, etablierten Lebensformen, die sich hier breit gemacht haben. „Ich bin 62, ich brauche mir nichts mehr zu beweisen“ begründet Thomas Olbricht seine Entscheidung, ein Haus für seine private Kunstsammlung an genau diesem Ort zu platzieren.
Mythos Auguststrasse
Das Sammlermuseum, das der ehemalige Arzt und Erbe des Wella-Konzerns neben die angrenzenden Kunst-Werke gesetzt hat, versucht am Mythos Auguststrasse zu partizipieren. Wirkt aber wie das schiere Gegenstück. Nicht nur weil diese klotzige Mischung aus Möbel- und Penthouse die kleine zerbrechliche Margarinefabrik ziemlich in den Schatten stellt. Sondern auch weil es einen krassen Kontrapunkt zu der konzeptuellen Kunst bietet, die dort normalerweise geboten wird.
Privatsammler gehen oft erfrischend unbefangen mit der Kunst um. Olbricht schreckt aber vor softpornografischem Kitsch nicht zurück: Terry Rodgers Sacrifical Penumbra etwa. In den Vitrinen in den Wänden stehen Plastikmainzelmännchen neben Totenmasken aus Übersee. Und konfrontiert die zur La Reine Blanche verkitschte Catherine Deneuve des schwulen Künstlerpaares Pierre et Gilles mit Andy Warhols Tableau Jackie von 1964.
Kann man natürlich alles machen. Letztendlich endet diese kuratorische Chuzpe dann aber doch bei dem Konzept von der „Migration der Form“, mit dem Roger Buergel auf der letzten documenta 2007 scheiterte. Olbricht hat Kehinde Wileys grelles Reiterporträt Philips II. mit dem Gesicht von Michael Jackson von 2009 neben das Bewegungsmodell eines Pferdes mit weiblichem Reiter aus dem Jahr 1870 hängen lassen. Der Tourist, der demnächst vor dieser denkwürdigen Kombination stehen wird, dürfte die Olbricht-Sammlung mit der erhellenden Erkenntnis verlassen: Sieht sich das alles verdammt ähnlich!
Als ehemaliger Endokrinologe interessiert sich Olbricht für den menschlichen Körper und Mortalität. Kein Wunder, dass im Herzstück seiner Sammlung, der „Wunderkammer“, so viele „Tödleins“ stehen, kleine Memento-Mori-Symbole aus Porzellan, oft mit geöffnetem Leib. Das Prinzip, das Olbricht zu neuem Leben erweckt haben will, markiert den auffällig unreflektierten Rückgriff auf ein höfisches, vorwissenschaftliches Sammelprinzip. Im Grunde ist es aber nur die Metapher für einen extrem subjektiven Blick.
Das wäre an und für sich nichts Schlimmes, wenn diese Einrichtungen nicht langsam über Hand nähmen. Mit Christian Boros‘ Kunst-Bunker, Heiner und Celine Bastians Sammlung am Kupfergraben, Erika Hoffmanns Privatsammlung in den Gips-Höfen und der Haubrok-Sammlung am Straußberger Platz ist Berlin inzwischen gut versorgt mit solchen Tempeln der intimen Kunstlüste. Die auf Dauer aber auch den Massenblick prägen. Der darin mit viel Geld inszenierten Demonstration einer höchst privaten Leidenschaft haben die verarmten öffentlichen Museen kaum noch etwas entgegen zu setzten; schleichend erodiert in diesem neuen Umfeld ihr Bildungsauftrag.
Kommerzieller Track
Den Rollenwandel der Kunst kann man auch an dem berüchtigten Gallery Weekend studieren, das einmal im Jahr in Berlin stattfindet. Zu Beginn der neunziger Jahre war dieses Ritual unter dem Titel „Galerien-Rundgang“ noch eine Entdeckungsreise mit unbekanntem Ausgang. Heute ist es ein kommerziell gut durchorganisierter Track mit Katalog und Lageplan. Noch in den abgeranztesten Hinterhöfen fahren die dunkel verspiegelten Limousinen des VIP-Shuttle-Service für vermögende Sammler vor.
Zwar funktioniert die Kunst noch als Raumöffner. Ohne die eintägige Kunstmesse Sunday wäre man sonst nie in Roger Bundschuhs noch nicht fertiggestellten, futuristischen Neubau eines Wohnhauses für Sammler und Kunstliebhaber am Rosa-Luxemburg-Platz gekommen. Dem großbürgerlichen Publikum aus aller Welt, das sich dazu in Berlin einfindet, bietet das Event ästhetisch aber eher Bestätigung denn ernsthafte Herausforderungen.
Die New Yorker Malerin Cecily Brown ist zwar ein Weltstar. Trotzdem bleiben ihre provozierenden Bilder weiblicher Sexualität, die Contemporary Fine Arts in seinen erhabenen Räumen am Kupfergraben zeigt, gefällig: Bei Brown wird selbst das ewige Skandalon der Penetration kompatibel für‘s weitläufige Wohnzimmer.
Und die Reste von Berlins aufregender Ruinenästhetik, die findige Galeristen immer noch entdecken, dient in Berlin nur mehr als Kulisse, vor der amerikanische Sammlerehepaare, die am Abend zuvor noch beim Marc-Almond-Konzert im Dice waren, ihre bourgeoise Noblesse noch vorteilhafter zur Geltung bringen können. Neugerriemschneider hat ihre subtilen Porträts von Elizabeth Peyton (Bild) in die verrottenden Räume einer ehemaligen Eisenwarenhandlung an der Fischerinsel präsentiert: Ein Hauch von Venedig mitten in Berlin.
Die wenigen Werke, die dieses Ritual des Distinktionsgewinns selbst in Frage stellen, sind schnell aufgezählt. Asta Gröting hat in den Räumen des NBK-Kunstvereins an der Chausseestraße die Fensterfront schwarz gemalt. Doch ob das bürgerliche Publikum seine ästhetischen Rollenspiele von den Kernbegriffen aus Pierre Bourdieus Die feinen Unterschiede in Frage stellen lässt, die sie da aus der dunklen Farbfläche herausgekratzt hat? Weißwein, Zigarre, Oper, 1. Reihe klingt eher nach Old-School-Bourgeoisie.
Strick um den Hals
Je weiter sich der gallery walker bewegte, desto bedrohlicher wurde es dann aber doch. Auf Norbert Biskys jüngsten Bildern bei Crone in der Rudi-Dutschke-Straße sind zwar immer noch hübsche Jünglinge zu sehen. Doch die Szenerie verdüstert sich von Jahr zu Jahr. Zwei von ihnen hat er jetzt mit nachtblauen Augenbinden vermummt und einen Strick um den Hals gehängt.
Und wer sich in das neue Kunst-Quartier um die Potsdamer Straße begab, konnte an den Skulpturen des norwegischen Pop-Schriftstellers und Künstlers Matias Faldbakken die Stimmung studieren, die Berlin während des Mai-Wochenendes grundierte: In Giti Nourbakhscks wunderschöner Galerie hatte er ein Bündel zerschmetterter Zeitungsständer – vielleicht waren es auch Reste von Einkaufswagen im Supermarkt – mit einem Plastikgurt zusammengezurrt: Eine minimalistische Metapher für die schmale Grenze zwischen Vandalismus und Security.
Auf ihr wandelt die Suche nach neuen Lebensformen in Berlin immer noch. Wie man an den singenden Demonstranten sehen konnte, die in der Nacht zum 1. Mai ihre Leuchtraketen an Kreuzbergs Kottbusser Tor in die Luft feuerten und gut choreographierte Marschkolonnen von wahlweise mossgrün oder marineblau vermummter Polizisten in Gang setzten.
Wer seinen gallery-walk schon am Abend zuvor bei der schlechten Pop-Art Zhivago Duncans bei CruiseCallas in den Hinterhöfen der Köpenicker Straße beschlossen hatte, und nach einem erlösenden Mitternachtsdrink suchte, konnte auch die Kunst des realen Widerstands dagegen studieren. In der winzigen Boheme-Kneipe Basso gleich nebenan drängte sich eine Hundertschaft eher unbürgerlicher Kunstliebhaber und verfolgte zwei Filme zur Räumung der legendären Mainzer Straße 1990 im Berliner Bezirk Friedrichshain und dem WG-Leben in dem berühmten „Tuntenhaus“ dort. Als die Maler- und Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley sich zur Begrüßung erhob, brandete Beifall auf.
Auf den ersten Blick ist ist Helmut Kohl kein gutes Beispiel für den Zusammenhang der beiden Themen. Denn der Schwarze Riese aus der Pfalz, wie der damalige CDU-Vorsitzende und Bundeskanzler gerne genannt wurde, stand 16 Jahre lang für die hässliche Seite der Politik. Kein Tag verging, ohne dass ein Kübel Spott über den Mann ausgeschüttet wurde, den seine Kritiker wegen seiner charakteristischen Leibesfülle gern „Birne“ nannten. Für den Publizisten Karlheinz Bohrer wurde Kohl zum Inbild der Mediokrität und Uneleganz der westdeutschen Nachkriegspolitik. Er mokierte sich über diese (Bonner) Ästhetik des Provisoriums und des symbolischen Understatements. „Ästhetik und Demokratie“ weiterlesen
Ästhetik und Demokratie. Auf den ersten Blick ist ist Helmut Kohl kein gutes Beispiel für den Zusammenhang der beiden Themen. Denn der Schwarze Riese aus der Pfalz, wie der damalige CDU-Vorsitzende und Bundeskanzler gerne genannt wurde, stand 16 Jahre lang für die hässliche Seite der Politik. Kein Tag verging, ohne dass ein Kübel Spott über den Mann ausgeschüttet wurde, den seine Kritiker wegen seiner charakteristischen Leibesfülle gern „Birne“ nannten. Für den Publizisten Karlheinz Bohrer wurde Kohl zum Inbild der Mediokrität und Uneleganz der westdeutschen Nachkriegspolitik. Er mokierte sich über diese (Bonner) Ästhetik des Provisoriums und des symbolischen Understatements.
Als Bohrers Antipoden könnte man den Kunsthistoriker Walter Grasskamp heranziehen, für den Demokratie dann am ehesten gewährleistet ist, wenn sie „unästhetisch“ ist. Denn die Vielfalt der in der Demokratie verhandelten Interessen verbiete es, sie auf einen ästhetischen Punkt zu bringen. Ein Politiker wie Barack Obama, der alle Vorteile des Ästhetischen auf seiner Seite hat, müsste dem linksliberalen Grasskamp eigentlich gut gefallen. Doch spätestens seit dem Nationalsozialismus steht die forcierte Inszenierung von Politik unter dem Verdacht der Legitimation der Tyrannei.
Für Grasskamp liegt die Stärke der Demokratie gerade in dem Verzicht auf eine geschlossene ästhetische Repräsentation. In diesem Sinne verkörpert Angela Merkel die Ästhetik der Demokratie in Reinkultur. Ganz anders als Lady Margaret Thatcher mit ihrer geschlossenen, stets kampfbereiten Ästhetik, mit der die deutsche Kanzlerin neuerdings häufig und zu Unrecht verglichen wird.
Wenn es in diesem Blog in unregelmässigen Abständen um das Verhältnis von Ästhetik&Demokratie gehen soll, dann nicht im normativen Sinn. Hier will ich die ästhetischen und symbolischen Formen, in denen sich Demokratie vollzieht, beobachten und analysieren. Wenn ich hier für den Zusammenhang von Ästhetik und Demokratie plädiere, dann nicht unter dem Motto: „Unsere Politik soll schöner werden!“ Sondern um auszuloten, welche ästhetischen Potentiale für das Ziel jeder fortschrittlichen Politik mobilisiert werden können: Die Emanzipation des Menschen aus selbst- und fremdverschuldeter Unmündigkeit.