Zombie-Abstraktion und tumbe Malerei. Christian Viveros-Fauné, der Kritiker des Online-Magazins „artnet“, war entsetzt. Beim Gang über die, jedes Jahr Anfang Dezember öffnende Art Basel Miami Beach, entdeckte er vor ein paar Jahren nur Kunst, die „schön, glitzernd und substanzlos bis zum Punkt“ war. „Leicht wie Luft“ müssten die Arbeiten sein, die den Mega-Reichen gefallen, die sich dort regelmäßig tummeln. Ihre kritische Kraft habe die dort angebotene Kunst in den „Mülleimer der Geschichte“ befördert, so grell und effekthascherisch wie sie sich dort gebe. „Eine für alle?“ weiterlesen
Der Unbesiegbare
Hand aufs Herz: Eine klammheimliche Freude dürfte nicht wenige beschlichen haben, als sie die Nachricht vom angeblichen Putsch in der Türkei auf ihren Smartfons vorfanden. Die Vorstellung, dass der stolze Diktator vom Bosporus, aus einem Fotoautomaten zum Volkssturm in Istanbul aufrufen muss. Der Gedanke, dass das autoritäre Großmaul in Berlin oder Teheran um Asyl bettelt, wie es die Gerüchte wissen wollten – diese Bilder hatten etwas Erheiterndes. Der rituelle Stoßseufzer vieler Freunde in der Türkei: „Kann der nicht einfach mal tot umfallen, einfach weg sein?“ schien sich zu erfüllen. „Der Unbesiegbare“ weiterlesen
Liebe, Sex und Tod. Über den Kurator Frank Wagner (1958-2016)
In einem ihrer berühmten Projekte hat die neue Gesellschaft für Bildende Kunst – nGbK – vor ein paar Jahren eine Arbeits-Gruppe namens „Wissensspeicher“ eingerichtet. Normalerweise würde man „Archiv“ zu so etwas sagen. Aber mit der wenig attraktiven Vokabel assoziiert man so langweilige Sachen wie das Sammeln und Ablegen von Informationen. Wissensspeicher klingt lebendiger. Mit dem Wort Wissensspeicher sollte angezeigt, dass es nicht nur um das Horten verstaubter Geschichtsdaten ging, sondern um lebendiges Wissen, darum, ein Potential für die Zukunft zu erschließen. „Liebe, Sex und Tod. Über den Kurator Frank Wagner (1958-2016)“ weiterlesen
ESC : Die politische Kraft des ästhetischen Moments
„Ist dieses Europa-Singen jetzt endlich rum?“. Mit diesem genervten Post mokierte sich vergangenes Wochenende der SPD-Europaabgeordnete Jens Geier auf seinem Facebook-Account über das Ende des European Song Contest (ESC). Nun sind persönliche Geschmackspräferenzen das eine. Niemand kann Jens Geier zwingen, das was man früher etwas abschätzig „Schlager“ nannte, zu mögen. Es gibt jede Menge illustre ESC-Verächter. Der Essener Abgeordnete sitzt auch nicht wegen Kunst und Kultur im Europäischen Parlament, sondern wegen so wichtiger Fragen wie dem europäischen Haushalt, wegen der Industrie- und Energiepolitik. „ESC : Die politische Kraft des ästhetischen Moments“ weiterlesen
Erdoğans Kulturrevolution
Speertragende Wächter, Krieger in schimmernden Kettenhemden und Soldaten mit Goldhelmen. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas staunte nicht schlecht beim Staatsbesuch vergangenes Jahr in der Türkei. Auf der Freitreppe seines funkelnagelneuen Präsidentenpalastes in Ankara hatte Präsident Erdoğan 16 kostümierte Soldaten antreten lassen – lebende Symbole der 16 Sterne seines Siegels, die für die 16 anatolischen Reiche stehen. „Erdoğans Kulturrevolution“ weiterlesen
Lernen von Kassel – Auf dem Weg zur Post-Documenta Melancholie
Zwölf Tage Gespräche, Diskussionen und Performances. Im November 2011 erwachte das Athener Embros-Theater aus einem Dornröschenschlaf. Künstler hatten das vom Kulturministerium aufgegebene, historische Gebäude im Arbeiterviertel Psirri besetzt und reaktiviert, was seine Aufgabe war: Kunst zu zeigen, Kunst zu ermöglichen. „Lernen von Kassel – Auf dem Weg zur Post-Documenta Melancholie“ weiterlesen
Die neuen Bilder und die Herausforderung der Kunst
Ein silbernes Kaninchen auf weißem Podest in einem leeren Saal. Sanft zoomt eine unsichtbare Kamera auf die spiegelglätte Skulptur, umkreist sie beständig. Doch in der glänzenden Oberfläche des Gesichtsfeldes der Skulptur spiegelt sich nichts als der leere Raum, der ihn umgibt. Keine Reflektion, nirgends: Der Fotograf mit seiner Kamera ist nicht zu sehen. „Die neuen Bilder und die Herausforderung der Kunst“ weiterlesen
Documenta – Airlines
Ein schmales, silbernes Band, wie ein unruhiger Quecksilberfluss schlängelt es über ein schwarzes Quadrat, von links oben nach ganz rechts unten. Aufmerksame Beobachter der 14. Documenta haben natürlich längst gemerkt, dass die elegante, minimalistische Abstraktion, die seit kurzem deren Website ziert, keineswegs nur zauberhaftes l’art pour l’art darstellt, sondern einen Weg beschreibt: Den von Kassel nach Athen nämlich. Der Stadt, von der wir im nächsten Sommer alle „lernen“ sollen. Je länger man darauf schaut, desto mehr ähnelt sie aber auch der Fluchtroute durch den europäischen Südosten, die derzeit unbedingt abgeriegelt werden soll. „Documenta – Airlines“ weiterlesen
Langeweile ist eine Produktivkraft
Die Langeweile ist der Hauptfeind unserer Generation, weil wir damit aufgewachsen sind, verwöhnt und von Reizen überflutet. Wir sehnen uns nach der Unterbrechung der Langeweile. Wer an Hunger leidet und nicht im Adlon sitzt, langweilt sich nicht. Wir sind nichts als Produkte einer postmateriellen Generation, die nur noch mit der Langeweile zu kämpfen haben.« In der Mitte klafft ein Loch. Die Amüsiergesellschaft kennt keine Gnade. Von Aufregung geht es zu Event. »Die Sehnsucht danach, die Langeweile zu brechen« ist schwer zu befriedigen. Doch die »Mutter des Nichts« (Leopardi) schlägt garantiert zurück. „Langeweile ist eine Produktivkraft“ weiterlesen
Ästhetin an der Schnittstelle
Raymond Hains, Sophie Calle, Gabriel Orozco – wer sich auf die Suche nach der kuratorischen Handschrift der Christine Macel macht, trifft auf eine lange Liste von Schauen illustrer Gegenwarts-Künstlerinnen, aber nicht auf das ganz große Projekt. Dass muss nicht heißen, dass die französische Kunsthistorikerin eine Verlegenheitslösung für die nächste Biennale von Venedig wäre oder die Frauenquote nach oben treiben soll. Vergangenen Freitag berief der Biennale-Vorstand die Chefkuratorin des Pariser Centre Pompidou zur Kuratorin der 57. Ausgabe im Frühsommer 2017. „Ästhetin an der Schnittstelle“ weiterlesen