“Darf ich nicht sagen, was ich denke?” In Interviews heute gefällt sich Sibylle Lewitscharoff in der Pose der unschuldig Verfolgten. Als ob die Berliner Autorin nicht wüsste, wie weit sie gegangen ist. Bei dieser Frau sind keineswegs “alle Sicherungen durchgebrannt”, als sie ihren Vortrag „Von der Machbarkeit. Die wissenschaftliche Bestimmung über Geburt und Tod“ im Dresdner Staatsschauspiel vom Stapel ließ. Das hatte die Berliner “tageszeitung” vermutet. Spätestens als Lewitscharoff sagte: “Meine Abscheu ist stärker als die Vernunft”, ging ihre Tirade so in die deutsche Kulturgeschichte ein wie eins die Thesen von Thilo Sarrazin. Hier outete sich eine christliche Fundamentalistin. „Lewitscharoffs „Abartigkeiten““ weiterlesen
Berliner Hohlraum
Eine Stadt sucht einen Kulturstaatssekretär. In Berlin brodelt die Gerüchteküche. Die Presse vermisst die möglichen Nachfolger des gestrauchelten André Schmitz. Und dieses ziellose Personal-Gestocher im Nebel ist schon ein großer Teil des Problems. Ob es nun der ewige Beamte, Wissenschaftsstaatssekretär Nevermann, Moritz van Dülmen, der Chef der stadteigenen Kulturprojekte GmbH oder der berufsjugendliche Chef der Staatskanzlei, Björn Böhning, wird. Nur mit einem neuen Gesicht ist der Kulturpolitik in Berlin nicht geholfen. „Berliner Hohlraum“ weiterlesen
Der Große Neutralisator
Kann man den Hitlergruß neutralisieren? Zum Glück musste das Kasseler Amtsgericht gestern nicht über diese Jahrhundert-Frage entscheiden. Doch genau diese Idee, so vertraute es der Maler und Aktionskünstler Jonathan Meese diese Woche dem Spiegel an, steht hinter der abgedroschenen Provokationsgeste, die ihn vor Gericht brachte. Dass die Richter ausgerechnet in der Documenta-Stadt nicht sofort auf die grundgesetzlich verbriefte “Freiheit der Kunst” erkannt, sondern den Prozeß vertagt haben, mag deren Freunde empören. Anselm Kiefer hat’s getan, Martin Kippenberger und Laibach haben’s getan. Warum darf es nicht Jonathan Meese tun? „Der Große Neutralisator“ weiterlesen
Jakob Augstein ist kein Antisemit
Ist Jakob Augstein ein Antisemit? Die Frage klingt einigermaßen absurd. Doch wer sich die jüngst veröffentlichte Liste der zehn übelsten Antisemiten der Welt, herausgegeben vom Simon-Wiesenthal-Center in Los Angeles, anschaut, wird nicht schlecht gestaunt haben. Der Verleger der Wochenzeitung Freitag, Mitgesellschafter des Spiegel und ubiquitäre Fernsehintellektuelle auf einer Liste mit dem iranischen Präsidenten und Holocaust-Leugner Mahmoud Ahmadinejad, dem Chef der rechtsextremen ukrainischen Svoboda-Partei Oleg Tyagnibok und dem amerikanischen Rassisten Louis Farrakhan, dem Führer der afro-amerikanischen Bewegung „Nation of Islam“. „Jakob Augstein ist kein Antisemit“ weiterlesen
Protestantische Ästhetik
Regenjacke schlägt Signalfarbe. So könnte man das Ergebnis der Urwahl der Grünen für die Spitzenkandidatur zur Bundestagswahl im nächsten Jahr zusammenfassen. Statt mit der schrillen Claudia Roth ziehen die Grünen mit einem derart gedeckten Doppel in den Wahlkampf, dass Angela Merkel mit ihren kürbis- türkis- und pflaumenfarbenen Blazern gegen die frisch gekürte Doppelspitze der Grünen schon fast wieder wie ein bunter Vogel wirkt. „Protestantische Ästhetik“ weiterlesen
Die Selbstabschaffung der Kunst
Ein flatternder Sonnenvogel, der an einer rosaroten Blüte nascht. Das Bild, das der Künstler Khaled Jarrar vor Kurzem in Berlin vorstellte, sah auf den ersten Blick wie eine Kitschpostkarte aus. Wer unter der anrührenden Idylle die Inschrift „State of Palestine“ las, bemerkte die Absicht. Der palästinensische Künstler hatte eine Briefmarke für einen Staat erfunden, der überhaupt noch nicht existiert. „Die Selbstabschaffung der Kunst“ weiterlesen
Berliner Büchervernichtung
Deutschland schafft sich ab. 1, 3 Millionen Exemplare hat Thilo Sarrazin von seinem antimuslimischen Bestseller verkauft. Angesichts dieses sensationellen Erfolgs ist es absolut verständlich, dass viele die Frage quält, welches Kraut gegen den latenten Rassismus gewachsen ist, den er darin so massenwirksam verbreitet.
Der Berlin-Biennale dürfen wir zumindest für die Erkenntnis dankbar sein, wie dieser Geisteshaltung auf gar keinen Fall beizukommen ist. „Deutschland schafft es ab“ heißt das Werk, mit der sich der Bildhauer und Videokünstler Martin Zet an der 7. Ausgabe der Schau beteiligen will, die die Berliner Kunst-Werke im April veranstalten. Es soll, so der Künstler, eine „raumgreifende Installation“ werden. „Berliner Büchervernichtung“ weiterlesen
Nachhilfe für die Politik?
Schwere Quader aus Stein. Der Künstler Olafur Eliasson hatte den Weg in seine große Ausstellung „Innen Stadt Außen“ vergangenes Frühjahr im Martin-Gropius-Bau nicht ohne Grund mit Gehwegplatten gepflastert. Mit der Installation wollte er an das aufregende Leben im Berlin der Nachwendezeit erinnern. Die politischen und kulturellen Räume, die sich damals öffneten, hatten den 1967 geborenen Dänen künstlerisch mehr geprägt als seine Ausbildung an der Kunstakademie Kopenhagen. 1994 zog er an die Spree. „Nachhilfe für die Politik?“ weiterlesen
Democratic Gardening
Blut und Boden? Unübersehbar stand die Frage im Raum, als Hans Haacke 1999 sein Kunstwerk „Der Bevölkerung“ vorschlug. Dass ausgerechnet der kritischste der deutschen Polit-Künstler deutsche Erde im Reichstag aufschütten lassen wollte, um klarzumachen, dass die Deutschen mehr als nur ein Volk seien, befremdete viele. Haackes von innen beleuchteter Schriftzug konterkarierte zwar das pathetische „Dem Deutschen Volke“ am Frontgiebel des Parlaments. Aber warum, um Himmels willen, wollte er den Teufel Nation unbedingt mit dem Beelzebub Mythos austreiben? Man versteht es bis heute nicht.
Seit elf Jahren wächst nun Haackes Hügelgrab im Hohen Haus. Der 1936 in Köln geborene Künstler ist inzwischen 75 jahre alt geworden. Da ist es vielleicht ganz angemessen, eine kleine Bilanz dieses umstrittenen Werks und seiner Wirkung zu ziehen. Und siehe: Ganz so blutbodenmäßig, wie manche es befürchtet hatten, ist es denn doch nicht gekommen. „Democratic Gardening“ weiterlesen
Ein Mann macht dicht
Was die Körpersprache von Olaf Scholz signalisiert
Der Lockenschopf. Das war früher das Erkennungszeichen von Olaf Scholz. Wann immer der freche Juso aus Hamburg im Bundesvorstand der Jusos oder auf ihren chaotischen Bundesdelegiertenversammlungen auftauchte, war er schnell zu erkennen an seiner charakteristisch verwuschelten Haartracht. Die irgendwie auch ein Symbol für seine politische Unberechenbarkeit war. Und für die verschlungenen Wege, die zu gehen er bereit war, um an sein politisches Ziel zu kommen. Kaum tauchte er auf, verbreitete sich rasch nervöse Unruhe im Saal. Entweder wegen der Intrigen und Bündnisse, die dann geschmiedet wurden oder schon längst geschmiedet waren. Wegen der ironischen Bemerkungen, die er um sich herum verspritze wie feinste Dosen unmerklich wirkenden Gifts. Oder wegen der Debatten, die er backstage anzettelte, während sich vorne am Rednerpult die Gralsritter der Doppelstrategie noch dabei abwechselten, graues Recyclingpapier durch den Floskelkopierer zu schieben. „Ein Mann macht dicht“ weiterlesen