Pioniertat: Im Athener Museum für Zeitgenössische Kunst fragt Katerina Gregos nach der Macht der Frauen: „What if women ruled the world“

Dimensionen der Sichtbarkeit. Christina Dimitriadis: Private Spaces – Berlin/Studio, 1995, Farbfotografie. Foto: Christina Dimitriadis + VG Bild-kunst

300 Tote, Plünderungen, ausgebrannte Museen. Als Sheik Hasina 1996 zum ersten Mal Premierministerin Bangladeshs wurde, zog die aus dem Exil heimgekehrte Tochter des Staatsgründers Mujibur Rahman große Hoffnungen auf sich.

Als sie vor wenigen Wochen das Land nach einem Aufstand per Helikopter aus ihrer Heimat flüchtete, hinterließ sie ein Chaos, 2000 politische Gefangene inklusive. Die hatte die von einer Progressiven zur Autokratin mutierte Politikerin einsperren lassen.

„What if Women Ruled The World?“ – mit Blick auf das blutige Drama in dem südasiatischen Land ist die hypothetische Frage, die das Athener Museum für Gegenwartskunst (EMST) in seiner jüngsten Großausstellung stellt, im Grunde beantwortet: Vermutlich wäre es dann auch nicht viel besser.

Die Ausstellung mit dem plakativen Motto verrät die Handschrift ihrer Kuratorin. Themenausstellungen, die in das Herz der zeitgenössischen Konflikte zielen, ebneten der 1967 in Athen geborenen Kuratorin Katerina Gregos den Weg an die Spitze des von einer Brauerei zum Museum umgebauten Hauses. 2017 geriet es als Zweit-Standort von Adam Szymczyks documenta 14 in den Fokus der Welt(kunst-)öffentlichkeit

Unter dem Titel „newtopia. The State Of Human Rights“ erklärte Gregos die Menschenrechte 2012 im belgischen Mechelen zur letzten globalen Utopie. Zwei Jahre später prangerte sie im Brüsseler Bozar mit „No Country for Young Men“ die Folgen der griechischen Finanzkrise an.

„The State Is Not A Work Of Art“ hieß 2018 im estnischen Tallin eine Schau, die den europäischen Neonationalismus auf Korn nahm. 2021 ernannte ausgerechnet die konservative griechische Kulturministerin Lina Mendoni die ultraprogressive Kunsthistorikerin (nach der Amtszeit von Anna Kafetsi in der Zeit des EMST als nomdisches Museum ohne eigenes Haus) zur ersten Direktorin des etablierten EMST. Dafür verließ sie sogar ihre Wahlheimat Brüssel.

Installationsansicht Susan Meiselas: “A Room of Their Own” im EMST. A Room of Their Own. Foto: Mar Efstathiadi

Gregos‘ Weg nach Athen ist das spannende Beispiel einer kuratorisch hochklassigen, politisch furchtlosen Intellektuellen in einer öffentlichen Institution. „What if Women Ruled The World?“ ist eine weitere der Ausstellungen, mit der sie unterstreicht, dass sie ihren erklärten Vorsatz, auch im Staatsdienst „thought provoking exhibitions“ zu machen, nicht aufgeben will.

Ihr jüngster Coup ist eine veritable Pioniertat. Gregos räumte eine komplette Etage des Hauses für Künstlerinnen frei: 46 aller Nationalitäten und Alter zählt der gewaltige Parcours.

Bis zum Jahresende wird der Ende 2023 begonnene Zyklus in vier Teilen zusätzlich 18 Soloausstellungen weiblicher Positionen zeigen – von der britischen Bildhauerin Phyllida Barlow bis zur iranischstämmigen US-Künstlerin Tala Madani.

Christina Dimitriadis‘ Foto einer in verlängerter Belichtungszeit aufgenommenen, jungen Frau auf einem Sofa lässt sich als Metapher für Gregos‘ Politik der Sichtbarmachung und Repräsentationsgerechtigkeit interpretieren.

„Ich wollte die Vorstellung provozieren, wie ein Museum aussehen würde, in dem nicht nur ein paar symbolische Werke, sondern die Mehrheit von Künstlerinnen wären“ erklärt Gregos ihre Idee.

Rund 40 Jahre nach der aggressiven Frage der New Yorker „Guerrilla Girls“, ob Frauen nackt sein müssen, um ins Museum zu kommen, ist Gregos‘ Versuch, Simone de Beauvoirs „anderem Geschlecht“ den gebührenden Platz im Museum einzuräumen, nicht mehr so neu.

Yael Bartana: “What if Women Ruled the World”. Neon-Installation. Courteyy Annet Gelink Gallery, Amsterdam; Sommer Contemporary Art, Tel Aviv; Galleria Raffaella Cortese, Milano; Petzel Gallery, New York und Capitain Petzel, Berlin. Foto: Panos Kokkinias

In ihrer tief patriarchalen Heimat ist die Frage nach Women’s Power freilich weiterhin eine Provokation. Selbst wenn mit der Juristin Katarina Sakellaropoulu erstmals eine Frau an der Staatsspitze steht. Für ihren Posten wurde sie allerdings vom konservativen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis handverlesen.

Jeden Tag werden in Griechenland im Durchschnitt 50 Männer wegen Gewalt gegen Frauen oder Kinder in der Familie fest­genommen. Seit 2020 verübten Männer knapp 100 Femizide. Vor diesem Hintergrund liest man unweigerlich die Solo-Schau „A Room Of Their Own“. 

In den Zyklen „Archives Of Abuse“ und „A Room Of Their Own“ hat die amerikanische Magnum-Fotografin Susan Meiselas ihre Recherche zur häuslichen Gewalt in San Francisco 1991/92 und zwanzig Jahre später den britischen West Midlands dokumentiert: Bilder von den Wunden der Frauen und den leeren Tatorten.

Trotz des programmatischen Mammutaufgebots verzichtet Gregos zum Glück darauf, diesen hyperdiversen Kosmos in einer politischen Aussage wie der Verheißung eines feministischen Utopia zusammenzuziehen. Nicht umsonst steht ein Fragezeichen hinter dem Ausstellungstitel.

Erfunden hat ihn die israelische Multimediakünstlerin Yael Bartana. Weit leuchtend strahlt der Slogan als Neon-Installation von zwei Frontseiten des EMST in die attische Hauptstadt. Und ob Bartanas Antikriegs-Fanal „Two minutes to Midnight“ von 2020, einem der Highlights der Ausstellung, zu Zeiten des Ukraine-Kriegs politisch zündet, ist ungewiss.

Penny Siopis: Pinky Pinky: Blue Eyes. Ölgemälde. Privatsammlung  Teresa Lizamore, Johannesburg. Foto: Penny Siopi/ Stevenson, Cape Town, Johannesburg and Amsterdam

In dem thrillerartigen 47-Minuten-Video entscheidet sich die rein weibliche Regierung eines fiktiven Landes, die sich unversehens der Ankündigung eines Nuklearschlags durch einen Autokraten gegenübersieht, die Waffen schließlich in ein Grab zu werfen.

Wenn die Schau eine Art Kernkompetenz femininer Ästhetik zu Tage fördert, dann einen Sinn für das Verletzliche. Besonders beeindruckend zeigt das das Solo von Penny Siopis, eine der faszinierenden Wiederentdeckungen von Gregos.

So sehr sich die 1963 als Tochter griechischer Eltern in Südafrika geborene Künstlerin einen Namen als Kämpferin gegen Rassismus und Kolonialismus machte, so poetisch und filigran kommt ihr Werk daher. In ihrer Arbeit „For Dear Life“ von 2020 lässt sie in einer auf dem Boden platzierten Leinwand Leim, Tinte und Ölfarbe ineinanderfließen.

„Meine Rolle“, erklärt die Künstlerin einmal die Bedeutung der energiegeladenen Komposition in der „hot colour“ Rot, „ist es, die Bedingungen dafür zu schaffen, dass sich etwas ereignet“. Ihre „Philosophie“ ließe sich als Maxime jeglicher Herrschaft interpretieren, egal, ob sie von einem Mann oder eine Frau ausgeübt wird: „to shift human dominance“.

Ingo Arend

What If Women Ruled The World? EMST, Athen. Noch bis zum 24. November 2024

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