444 zerbrochene Stelen. Dass die Öffentlichkeit an ihrer Arbeit Anstoß nehmen würde, musste Adeela Suleman klar gewesen sein. Doch dass sie zerstört werden würde, das dürfte die Fantasie der pakistanischen Künstlerin dann doch überschritten haben.
Am Tag der Eröffnung der 2. Karatschi-Biennale Ende Oktober schlossen bis heute unbekannte Sicherheitskräfte einen Raum, in dem das Video ihrer Arbeit „The Killing Fields of Karatschi“ zu sehen war. Als die Künstlerin, die bei der Aktion zugegen war, sich weigerte, auch die zur Arbeit gehörenden Skulpturen von dem Grundstück der Frere Hall, Karatschis altem, noch aus Kolonialzeiten stammenden Rathaus, wegzuschaffen, zerstörten sie die Betonsäulen.
Sulemans Arbeit bestand aus 444, Grabsteinen ähnlichen, mit einer metallenen Rose verzierten Skulpturen, die an die 444 Opfer “außergerichtlicher Tötungen” unschuldiger Bewohner Karatschis in den Jahren 2011 bis 2018 erinnern sollte. Für die Mord-Serie steht der ehemalige Polizei-Superintendent Rao Anwar derzeit vor Gericht.
Die spektakuläre Aktion überschattete die Eröffnung der 2017 von einer breiten zivilgesellschaftlichen Initiative gegründeten Biennale. An ihrer Spitze steht Pakistans wichtigste Kunstkritikerin Niilofur Farrukh. In einem Land, für das auf den Straftatbestand der Blasphemie offiziell immer noch die Todesstrafe steht, war diese Gründung eigentlich ein hoffnungsvolles Signal für den erweiterten Spielraum der Zivilgesellschaft und der Kultur. Konnte aber nicht die zahlreichen Attacken auf KünstlerInnen und Kunstwerke in den letzten Jahren vergessen machen.
Die moderne pakistanische Kunstszene hat in den letzten zehn Jahren einen erstaunlichen Aufschwung genommen. Dafür und das damit international gestiegene Interesse stehen KünstlerInnen wie Imran Qureishi (Deutsche Bank-Künstler des Jahres 2013), Iqbal Hussain oder die Filmemacherin Bani Abidi, der der Berliner Gropius-Bau kürzlich eine große Retrospektive widmete.
Ironischerweise erhielt den Haupt-Kunst-Preis der Karatschi-Biennale in diesem Jahr der international renommierte Artist Rashid Rana, der 2018 im Streit mit der Künstlerin Qudzia Rahim seinen Posten als Kurator der von ihr gegründeten, neuen Lahore-Biennale in der alten Residenz der Moghul-Kaiser niederlegte.
Zu den Geheimtipps dieser jungen Szene zählt mit der pakistanisch-amerikanischen Dragqueen Zulfikar Ali Bhutto, Jr., besser bekannt unter ihrem Künstlernamen Faluda Islam, eine queere visuelle und Performance-Künstlerin, die derzeit in San Francisco lebt und zu der bekannten pakistanischen PolitikerInnen-Familie Bhutto gehört.
Wer einmal die Kunsthochschule National College of Arts (NCA) in Lahore besucht hat, kann die unkonventionelle, experimentelle Energie der jungen Independent-Szene, die sich dort entwickelt, förmlich mit Händen greifen. Dieser kulturelle Aufschwung steht in bemerkenswertem Gegensatz zu der konservativen Grundausrichtung des Landes. In Sachen Kunstfreiheit sieht es zwischen Arabischem Meer und Himalaya noch immer schwierig aus.
Erst im Januar 2019 war ein Student des NCA wegen einer riesigen Satans-Skulptur auf dem Gelände der wichtigsten Kunst-Universität vor den Obersten Gerichtshof des Landes zitiert worden. 2017 waren zwei Filme verboten worden. Immer wieder versuchen Kleriker, Musikfestivals mit einem Zensur-Bann zu belegen, weil sie „unislamisch“ seien. Nicht selten verbrennen sie bei solchen Aktionen die dort benutzten Musikinstrumente.
2016 war Amjad Sabri, Pakistans berühmtester Sänger des Qawwali, einer Form der spirituellen Sufi-Musik, auf offener Straße erschossen worden. In ihrem Report „The State of Artistic Freedom“ erwähnt die internationale Organisation „Freemuse“ Pakistan als eines der sieben Länder, die die ohnehin eingeschränkte Freiheit der Kunst mit neuen Gesetzen weiter zu begrenzen versuchen.
Auch unter dem neuen, reformorientierten Premierminister Imran Khan besteht die Zensur in Pakistan fort. Zwar sind ihr nach der Verfassung enge Grenzen gesetzt. Nach einem Bericht des pakistanischen Parlaments wurden 2019 aber rund 900.000 Webadressen wegen “blasphemischen, pornografischen und/oder feindseligen Gefühlen gegenüber Staat, Justiz und Armee“ blockiert.
Wie sehr die Angst vor der Zensur und den Sicherheitskräften selbst couragierten KunstfreundInnen, wie denen, die die Biennale begründet haben, in den Knochen steckt, bewies die Reaktion der Biennale auf den Vorfall vor einigen Wochen.
In Furcht, die gesamte Schau könnte womöglich von anonym operierenden Sicherheitseinheiten oder den offiziellen Behörden geschlossen werden, distanzierte sich deren Leitung erst von der Künstlerin und warf ihr unangemessene Politisierung der Biennale vor. Was bei einer Biennale einigermaßen merkwürdig klingt, die die Klimakrise als Agenda hat.
Daraufhin erhob sich ein tagelanger Shitstorm in den sozialen Medien, Künstlerinnen organisierten einen Protest-Aufruf. Erst eine Solidaritätserklärung des Künstlers Zeeshan Muhammad, zugleich verantwortlicher Kurator der 2. Biennale, zu Gunsten Adeela Sulemans und der Kunstfreiheit im Allgemeinen rettete die Lage.
Was zeigt: Auch wenn die besonderen Bedingungen in dem konservativen, tief religiösen Land mit einer ganz eigenen Tradition des „Tiefen Staates“ in Rechnung zu stellen sind, gilt auch in Südasien die universale Erkenntnis: Angst essen Kunstfreiheit auf. 2. Kunst