Pferde ohne Reiter, hoch erhoben auf ehernen Sockeln. Luchezar Bouyadjievs Werke sind schon oft ausgestellt worden. Aber noch nie dürften sie so gut platziert worden sein wie auf der 4. Autostrada-Biennale, die Anfang Juli im kosovarischen Prizren eröffnete.
Seit zwanzig Jahren verfolgt der bulgarische Künstler sein Projekt der Dekonstruktion des Habitus von Militärs, Königen und nationalen Helden. Dazu retuschiert er aus Reiterstandbildern, die er auf der ganzen Welt fotografiert, die menschlichen Gestalten heraus.
Luchezars Serie mit dem ironischen Titel „On vacation…“ hängt derzeit in einem stillgelegten Militärhangar in dem ehemaligen Terrain der UN-KFOR-Truppen, die die Demilitarisierung des Kosovo nach den Kriegen 1998/99 überwachen sollten. In diesem gut bewachten Kontext geben sie einen besonders starken Kontrast ab.
Als die KFOR-Truppen 2018 das Feldlager unter dem Kommando der Bundeswehr, das schon im osmanischen Reich militärisch genutzt worden war, verließen, nutzte die klitzekleine Autostrada-Biennale in Kosovos zweitgrößter Stadt die Gelegenheit. Flugs verlegte sie ihr Hauptquartier in das Gelände, in dem die Stadt gerade ein Innovationszentrum aufbaut.
Autostrada, der Name der 2017 zum ersten Mal veranstalteten Kunstausstellung klingt wie eine Kreuzung aus einem Fellini-Film der 50er Jahre und der Werbung der Berliner CDU für ihr bevorzugtes Mobilitätsmittel.
Doch der Name, den drei junge Kulturschaffende aus Prizren ihrem Kind gaben, funktioniert mehr als ironische Metapher auf die zahlreichen Investitionsruinen, die vielen Ländern des Balkans ihre Spuren hinterlassen haben – von nicht fertiggestellten Shopping-Malls über Einfamilienhäuser bis zu Autobahnen.
Der Bildhauer Leutrim Fishekqui, die Pädagogin Vatra Abrashi und der Filmregisseur Baris Karamuço, damals alle Endzwanziger, wollten lieber in etwas sinnvolles investieren. Deshalb gründeten sie eine Kunst-Biennale.
In dem Kreis der weltweit rund 250 Biennalen ist Autostrada etwas Besonderes. Denn den balkanischen Kunst-Aficionados geht es nicht um Spektakel-Kultur, Standortmarketing oder noch einen Gentrifizierungsmotor. Sie wollten das kulturelle Vakuum in einem Land füllen, in dem die Bildende Kunst kaum eine Rolle spielt.
Vor allem sollte ihre Biennale nicht nur nach dem üblichen, zweijährigen Ritual ablaufen. Sondern zwischen den Ausstellungen als Anlaufstelle für junge Menschen dienen, die ihre künstlerischen und kreativen Kräfte schulen wollen, aber keine Möglichkeit dazu finden.
Nahezu jede:r, der im 2008 unabhängig erklärten Kosovo Derartiges verwirklichen will, will in Deutschland studieren. Für einen Staat mit knapp zwei Millionen Einwohnern, der kleiner ist als Thüringen, ist dieser Brain-Drain ein Problem.
Rund 60 Jugendliche haben die Curator Labs und die Bildungsprogramme der Autostrada-Biennale: Neue Medien, Textil, Design, bislang durchlaufen, mehr als die Hälfte von ihnen Frauen.
In einer eigenen Werkstatt in den Hangars werden die Kunstwerke für die Biennale gefertigt. Reste von Arbeiten aus vorhergegangenen Editionen und der abgezogenen Truppen werden zu neuen Werken verarbeitet.
In dieses innovative Format haben die beiden Kuratorinnen Joanna Warsza und Övül Durmuşoğlu in nunmehr zwei von ihnen verantworteten Ausgaben den Geist einer widerständigen Ästhetik eingefüllt.
Das Berliner Duo, weit über Berlin bekanntgeworden durch seine „Balkone“-Ausstellung 2021 in Prenzlauer Berg während der Pandemie, versteht sich auf eine spannende Balance aus Politik und Schönheit.
Steht für die Politik ein Mann wie Luchezar, steht für letzteres Neda Saeedi. Die Künstlerin hat das leere Zentrum des alten Partisanendenkmals an der Flusspromenade von Prizren mit einer gelb-blauen Glasarbeit sacht entideologisiert, in der sechs stilisierte Amseln umeinanderkreisen. Damit nimmt sie den Mythos des Amselfeldes auf, der das Wort Kosovo bedeutet.
Gleich gegenüber hat Kostas Bassanos Walter Benjamins berühmten Satz: »Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne ein solches der Barbarei zu sein« aus großen Holzbuchstaben an den Lauf des Lumbardhi-Flusses gestellt, der Prizren wie ein Gebirgsbach durchspringt.
Ein kritisches Memento, das den anschwellenden Tourismus in der pittoresken Destination mit vielen Kulturdenkmälern vielleicht nicht zur Umkehr, aber doch für ein paar Minuten zum Nachdenken bringen könnte.
In der eine Fahrtstunde entfernten Hauptstadt Pristina hat Hera Büyüktascian den Hof einer ausrangierten Ziegelfabrik mit leuchtend blauen Stoffbahnen ausgelegt, um an die vergessenen oder verbauten Wasserläufe des Kosovo zu erinnern.
Im Unterschied zur Manifesta, die im vergangenen Jahr mit derlei Arbeiten ebenfalls in Pristina gastierte, ist die kleine Autostrada-Biennale aber eine selbstorganisierte Bottom-up-Initiative vor Ort.
Der Wille, sich mit Kunst und Kultur gleichsam selbst aus dem Sumpf des schleichenden Bedeutungsverlust ihrer Heimat zu ziehen, ist die überall spürbare Energie dieses bewundernswerten Unternehmens.
Unter ihrem Biennale-Titel „All images will disappear one day“ spielen Warsza und Durmuşoğlu mit der Idee von der Nachhaltigkeit der Kunst, die sie gegen die kurzlebige visuelle Kultur der Gegenwart setzen. Wobei sie natürlich mit jedem ihrer 30 ausgewählten Werke den Beweis für die nie endende Präsenz aller Bilder liefern.
Immerhin etwas von ihrer Idee, das Unsichtbare, Verborgene sichtbar zu machen, scheint in den Arbeiten des 1930 geborenen Xhevdet Xhafa auf.
In Westeuropa ist dieser grandiose Vertreter des abstrakten Expressionismus nahezu unbekannt. In großformatigen, monochromen, an Pierre Soulages erinnernden Bildern, hat er Alltagsgegenstände integriert.
Was bleibt, wenn die Bilder verschwinden, so ließe sich seine, „Autobiographie“ betitelte Serie interpretieren, sind vage, amorphe Erinnerungen.
Manchmal kehren aber auch die alten Bilder zurück. Mitrovicas Bürgermeister Bedri Hamza von der Mitte-Rechts-Partei PDK war die Rührung anzusehen, als er vorvergangenen Sonntag ausgerechnet Alban Mujas Werk „Moving Monument – Moving Back“ an dem zweiten Außenstandort der Biennale eröffnete.
Weil die Replik davon, die er in der Autostrada-Biennale 3 vor zwei Jahren präsentiert hatte, so viel Aufsehen erregte hatte, hatte der Künstler, der aus Mitrovica stammt und heute in Berlin lebt, das Denkmal „Gleichheit, Arbeit und Bildung“, welches in den frühen siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts errichtet worden und 2010 aus, bis heute ungeklärten Gründen von ihrem zentralen Platz entfernt worden war, mit dem Autostrada-Team nachgebaut.
Der Umriss zweier aufrechtstehender Männer und einer Frau, die Werkzeuge, eine Taube und ein Buch in ihren Händen halten, stand emblematisch für das Ideal der sozialistischen Gesellschaft, die 1989 mit dem Staat Jugoslawien zerfiel. Etwas von dieser zeitlosen Idee hat in der großartigen Initiative namens Autostrada-Biennale überlebt.
www.autostradabiennale.org