Es gibt kein Paradies: Mit seinem neuen Roman „Die Rose von Nischapur“ beweist der iranische Schriftsteller Amir Hassan Cheheltan erneut sein Können

Der überraschende Besuch eines Fremden, der eine festgefügte Ordnung gehörig durcheinanderbringt. Das „Teorema“-Motiv aus Pier Pasolinis bekanntem Film ist unübersehbar in Amir Hassan Cheheltans neuem Roman „Die Rose von Nischapur“.

Zufällig auf ein Werk Omar Khayyams gestoßen, verliebt sich der junge Engländer David in die unsterblichen Verse des persischen Dichters, Mathematikers und Philosophen, der im 11. Jahrhundert lebte. Neugierig auf dessen Heimat geworden, reist er 2015 nach Teheran.

In der iranischen Hauptstadt steigt er erst in einem Hotel ab, wegen eines Unfalls zieht er zu einem befreundeten Paar: Nader, einem Dichter, den er in London bei einer Lesung kennengelernt hat und dessen Lebensgefährtin Nastaran, einer Grafikdesignerin.

Der Titel des Romans belegt den Sinn des Autors für beziehungsreiche Symboli: Nastaran ist ein iranisches Wort für „Rose“. Nischapur ist der Geburts- und Sterbeort Omar Khayyams.

Verliebt in Omar Khayyam

Zunächst drehen sich die Gespräche der drei um Alltagsdinge, Omar Khayyam, die Orientalistik und die iranische Geistesgeschichte. Die ungewohnte Dreieckskonstellation unterbricht jedoch Naders und Nastarans Beziehungsroutine.

Sie beginnen, sich selbst, ihr Leben und ihre Rolle in der Beziehung zu reflektieren. Naders Freundin will Kinder, er ist gegen die bürgerliche Ehe. Durch die Gegenwart des attraktiven David euphorisiert, bricht sich Naders, in der „Dunkelkammer der Verleugnung und des Vergessens eingesperrtes Gefühl seinen Weg ins Freie“.

Amir Hassan Cheheltan gilt ja als Chronist der Widersprüche der iranischen Gesellschaft seit der Islamischen Revolution von 1979. Doch sein neuer Roman lebt eher von einer ziemlich intimen Konstellation: dem Leben von Nader und Nastaran und der Dreieckskonstellation, die sich ergibt, als David dazu stößt.

Der Roman ist nicht so klar politisch, wie etwa Cheheltans Roman „Amerikaner töten in Teheran“ von 2011, wo explizit die politischen Umbrüche vor und nach Khomeinis Revolution im Mittelpunkt stehen. Zeitgesichte kommt mehr am Rande ins Blickfeld

Die drei unterhalten sich über die Fälle von verhafteten Ausländern, die der iranische Staat als politische Geiseln benutzt. Nader erinnert sich in einer Rückblende an seinen Vater, der sich beim Ausbruch der Revolution 1979 selbst erschoß.

Sie unterhalten sich über die Repression im Alltag, das Verbot von Alkohol, Cheheltan webst das unterschwellig in die Handlung ein – Politik ist eher so ein mittelbarer Effekt.

Nur mit der Variation des bekannten (Teorema-)Motivs gibt sich ein Autor wie der 1965 geborene Amir Hassan Cheheltan, gelernter Elektromechaniker, der mit seinem 2009 in Deutschland erschienenen Roman „Teheran, Revolutionsstraße“ großes Aufsehen erregte, natürlich nicht zufrieden.

Meisterhaft verknüpft der Autor in seinem Werk eine intime Beziehungsgeschichte mit subtilen Charakteren mit Literaturgeschichte und einem Sittenporträt des islamistischen Iran und seinen Zwängen – dem allgegenwärtigen Staatsterror, den Mängeln des Alltags und dem Druck der sozialen Konventionen.

Die Exkurse zu Omar Khayyam, die sich in Gesprächen zwischen den dreien und Bekannten entwickeln, sind manchmal etwas lang geraten.

Kontrastieren den repressiven Alltag aber scharf mit einer hedonistischen Lebensphilosophie, die den göttlichen Willen ablehnte und die Menschen aufforderte, für den Moment zu leben.

Zugleich legen sie den tabuisierten homosexuellen Subtext der iranischen und muslimischen Kultur, den viele der „gegen den Strom schwimmende persischsprachigen Dichter und Denker“ thematisierten, frei. Ein Motiv, das sich durch viele Bücher Cheheltans zieht.

Die Kraft des Hedonismus

Alles Gründe, warum das Werk dieses außergewöhnlichen Autors, der auch in vielen Essays die Zustände in seiner Heimat in ätzender Schärfe analysiert, dort nicht mehr erscheinen darf.

Der Roman bezieht seine besondere Spannung daraus, dass ein auktorialer Erzähler kühl und ungerührt die sich langsam aufbauende Spannung zwischen allen Beteiligten notiert, die schließlich dramatisch, tragisch, thrillerartig kulminiert. In der Übersetzung von Jutta Himmelreich verliert sich nichts von dieser ständig spürbaren Spannung.

Omar Khayyams Prophezeiung: „Bringt Euch nicht in Lebensgefahr. Es gibt kein Paradies“ findet darin eine tragische Erfüllung.

Amir Hassan Cheheltan: Die Rose von Nischapur. Roman. Aus dem Persischen von Jutta Himmelreich. C.H.Beck, München 2024, 240 Seiten, 24 Euro

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