Ist Kunst Spekulationsobjekt? Wer die boomenden Kunstmessen dieser Welt von Köln bis Hongkong beobachtet, wird verständnislos schauen. Natürlich wird mit Kunst spekuliert. Und dass ein Stadtkämmerer im armen Ruhrgebiet glänzende Augen bekommt, wenn er sieht, welch schwindelerregende Summen ein Picasso, Matisse oder Munch immer neu auf internationalen Auktionen erzielen, lässt sich da leicht nachvollziehen. Doch was sich die Essener Stadtväter nun haben einfallen lassen, um den löchrigen Säckel ihres Gemeinwesens zu stopfen, mutet denn doch arg spekulativ an.
Wie gesagt: Kunst ist nicht per se antikommerziell. Aber das Museum als Spekulationsmasse widerspricht allen Lippenbekenntnissen zur Bedeutung von Kultur, die man bei Sonntagsreden von Stadtoberen und Mäzenen gern zu hören bekommt. Und um nichts anderes als die schleichende Umwandlung dieser Leitinstanz der Moderne handelt es sich bei dem Versuch, die Schätze des weltbekannten Museums Folkwang in die Vermögensbilanz der Stadt einzurechnen. Und sich auf diese Weise den defizitären Haushalt der Ruhrmetropole schönzurechnen. Denn die Essener Stadtväter nähmen damit etwas in Geiselhaft für eine verfehlte Politik, das erstens nicht ihnen gehört, sondern der Allgemeinheit. Und das, zweitens, die privaten Sammler, die die Sammlung des Museums seit über hundert Jahren gestiftet haben, gerade dem Markt entzogen wissen wollten.
Wir wollen ja garnicht verkaufen, sagt die Stadt. Doch wer einmal den kulturellen Erbschatz ökonomisch statt ideell zu definieren beginnt, gerät schnell auf eine schiefe Bahn. Von der Inkorporation in den städtischen Vermögenshaushalt bis zum Verkauf ist der Weg dann nicht mehr weit. Wie man an der amerikanischen Stadt Detroit sehen kann. Auch da suchten die Stadtoberen händeringend nach neuen Wegen, um ihre Schulden zu begleichen. Und verfielen auf die Idee, die Schätze des stadteigenen Detroit Institute of Art zu versilbern: darunter Werke von Auguste Re-noir, Henri Matisse und Auguste Rodin und eine Wandmalerei des mexikanischen Künstlers Diego Rivera. Und ehe sich jemand versah, hatte das Auktionshaus Christie’s den Bestand unter die Lupe genommen. Und die 38 Topstücke, darunter „Hochzeitstanz“ von Pieter Bruegel dem Älteren und van Goghs „Porträt des Briefträgers Roulin“, auf einen Wert von fast zwei Milliarden Euro geschätzt.
Die Idee der Kunst als stiller Finanzreserve und disponibler Masse zu Diensten der Kameralistik verträgt sich nicht mit der Funktion der Kunst als kulturellem Erbe für alle Menschen. Und sie wird nicht dadurch richtiger, dass sie rasch um sich greift. Gerade hat der Düsseldorfer EON-Konzern angekündigt, Jackson Pollocks Schwarz-Weiß-Komposition „Number 5 (Elegant Lady)“, das spektakulärste Stücke seiner Kunstsammlung zu verkaufen. Das Museum Kunstpalast, dem er es als Leihgabe überlassen hatte, war ihm als Medium der Wertsteigerung gut genug. Jetzt will der Konzern 15 Millionen für den Pollock haben. Zwar soll der Erlös in das, im Rahmen der berüchtigen private-public-partnership betriebene Museum zurückfließen. Aber es sind eben außerkünstlerische Interessen, die den Konzern, der sich eine Sparkur verordnet hat, zum Verkauf bewogen. Die Kuratoren durften nicht mitreden. Das Nachsehen hätte das Publikum, das den Pollock nun nicht mehr sehen kann.
Und die Erben der Langen-Foundation müssen sich sagen lassen, dass ihnen das Museum in Morsbroich, dass ihre Eltern auf der Raketenstation Morsbroich bei Neuss errichtet haben, ebenfalls nur als in Wertsteigerungsmaschine gedient hat. Dreißig Werke der Klassischen Moderne aus der über 200 Werke umfassenden Sammlung, die dort bislang hingen, darunter Picasso, Kandinsky, Dalí und Braque, sollen Anfang Mai bei Christie’s in New York versteigert werden. Auch hier argumentieren die Initiatoren, die Arbeit der Stiftung langfristig sichern zu wollen. Nun muss die Stiftung, der die Werke ihrer Gründer nur als Leihgaben überlassen waren, mit dem Ruf kämpfen, nur als Steuerersparnis gedient zu haben.
Wie man Kunst wirklich wertschätzen kann, zeigte dieser Tage ein italienischer Fabrikarbeiter. Mehr als vierzig Jahre hingen zwei Bilder von Paul Gauguin und Pierre Bonnard in seiner Wohnung in Sizilien, die er damals nichtsahnend für 23 Euro auf einer Versteigerung erworben hatte. Als er nun herausfand, dass es sich um Meisterwerke handelte, hat der “kleine Mann” sie nicht verkauft, sondern zur Polizei gebracht. Seinen Kindern, so berichtete es heute der Mann, habe er den Wertstoffwechsel zwischen Kunst und Betrachter immer so erklärt: “Wenn ihr Kunst liebt, wird es euch die Kunst zurückzahlen.” An Geld hat er dabei offenbar nicht gedacht.