Zwölf Tage Gespräche, Diskussionen und Performances. Im November 2011 erwachte das Athener Embros-Theater aus einem Dornröschenschlaf. Künstler hatten das vom Kulturministerium aufgegebene, historische Gebäude im Arbeiterviertel Psirri besetzt und reaktiviert, was seine Aufgabe war: Kunst zu zeigen, Kunst zu ermöglichen.
Das Beispiel zeigt: Wenn die Welt, wie es die Documenta 14 im nächsten Jahr will, etwas „Von Athen lernen“ kann, dann, dass Künstler ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen und die schlechten Verhältnisse verändern können. Das einst verlassene Theater ist inzwischen ein veritables Kulturzentrum. Waren es solche Erfahrungen, die Documenta-Chef Adam Szymczyk an Athen interessierten?
Das „Mavili-Kollektiv“, das die Aktion organisierte, ist nicht die einzige Künstler-Gruppe in Athen. Die Kunsthistorikerin Eva Fotiadi, die derzeit an der FU Berlin zum „Art Activism“ forscht, zählte dieser Tage in einer Diskussion im Berliner Projektraum Decad über 300 von ihnen auf. Den Grund für den Boom ästhetisch motivierter grassroot-Initiativen sieht sie in dem „Ausnahmezustand“ im Gefolge der Olympischen Spiele in Griechenland 2004, der Finanzkrise 2008 und dem Spardiktat der internationalen Gläubiger noch zwei Jahre später. Sie kümmern sich um Ökologie, Armut oder den Mangel an Art-Spaces. Zu ihren PionierInnen zählen vor allem kritische ArchitektInnen.
Es gibt also ein künstlerisches Leben vor der Documenta in Athen. Und je näher man der Eröffnung der Documenta 14 im Frühjahr 2017 rückt, desto mehr fragt man sich, ob und wie sich die in diese Initiativen angesammelte Expertise auch in der Weltkunstschau niederschlagen, ihr Profil irgendwie schärfen, beeinflussen wird. Die KuratorInnen der Schau recherchieren rund um den Globus, angeblich arbeiten schon einzelne KünstlerInnen in Athen an Arbeiten für die Ausstellung dort.
Von Zwischenergebnissen eines Lernprozesses mit den Initiativen vor Ort ist bislang nicht viel zu sehen. Die Documenta kooperiert mit der Zeitschrift „South“ der Kuratorin Marina Fokidis. Das unabhängige Monatsmagazin „Unfollow“ will sich, so ist zu hören, als „Follower“ der Schau betätigen. Ende März hat eine 14tägige Konferenz begonnen, auf der die Documenta an ihrem Konzept feilen will – allerdings nur mit Studierenden und Dozenten der Athener Kunsthochschule.
Gerade weil Adam Szymczyks Documenta 14 mit ihrem Konzept politisch brisantes Neuland in einem politisch täglich neu umbrechenden Land betritt, hätte man aber gern konkreteres über den sicher nicht einfachen Lernprozess gewusst. Ganz abgesehen von der Frage, mit welchen politischen und bürokratischen Hindernissen die Schau kämpfen muss. Wie schnell man in dem komplizierten Umfeld scheitern kann, zeigte gerade der belgische Maler, Regisseur und Dramatiker Jan Fabre.
Auf Druck der Szene musste er zurücktreten, weil er für das Theaterfestival Athen und Epidaurus, als dessen künstlerischer Leiter er kurz zuvor berufen worden war, weil er – offenbar auch aus Unkenntnis der Szene und der schwierigen Lage, in der sich viele Initiativen der Darstellenden Künste nach dem Streichen der Kultur-Subventionen befunden hatten – entschieden hatte, bei der nächsten Ausgabe ausnahmslos belgische Kompanien auftreten zu lassen.
Oder will die Documenta am Ende nur die Ergebnisse des bislang eher unsichtbaren Lernprozesses präsentieren? Das würde der Intention Adam Szymczyks zuwiederlaufen, der ja alles andere als gewöhnliche Ausstellungen präferiert. Und mit Schlagworten von der Documenta als „Theater der Aktionen“ und „Parlament der Körper“ hohe Erwartungen geweckt hat.
Da sieht es fast so aus, als ob Ai Weiwei mit seinen medienträchtigen Flüchtlings-Re-Enactments an griechischen und türkischen Stränden weiter ist – so hilflos und umstritten sie auch sein mögen.
Angesichts des schleppenden Fortgangs der Dinge beginnt die Szene in Athen offenbar vorzusorgen und sich mit Ironie zu wappnen. Im Dezember 2015 gründete sich in Athen das „Institute for the Management of the Athenian Post-documenta Melancholy (IDAMM)“.
Seine Initiatoren misstrauen der Euphorie, dass die griechische Hauptstadt durch die Documenta vom Objekt der Austeritätspolitik quasi im Eilverfahren vom Mauerblümchen der Kunstwelt zum Lehrer der Welt aufsteigt und den Künstlern dort blühende Landschaften bescheren wird.
Vor allem aber sorgen sie sich, was in Athen ab November nächsten Jahres passieren wird, wenn die Documenta ihre Büros dort schließt. Deshalb planen die IDAMM-Macher jetzt schon, allen Beteiligten „psychologische Hilfe“ anzubieten, wenn der Tross prominenter Kuratoren, Museumsdirektoren und Galeristen der Stadt den Rücken zukehrt.
Erst einmal wollen die IDAMM‘ler den Spieß aber umdrehen. Ähnlich wie die im Oktober 2015 gegründete, zweijährige Initiative „Athens Art Observatory. Learning from Documenta“ haben sie ein Forschungsprojekt aufgelegt, mit dem sie das Verhältnis zwischen der Documenta, der Stadt Kassel und der lokalen Kunstszene dort kritisch untersuchen wollen. Sein Motto: „Lernen von Kassel“.