Symbolpolitik der vordergründigen Art. Mehr ist die Entscheidung nicht, dass Annette Kulenkampff im nächsten Sommer ihr Amt als Geschäftsführerin der Documenta aufgeben wird. Zwar sieht es so aus, als ob die Stadt Kassel und das Land Hessen beherzt Konsequenzen aus dem saftigen Fünfmillionen-Defizit der 14. Ausgabe der Weltkunstschau ziehen.
Steuergelder sind auf ominöse Weise hinter dem Olymp verschwunden. Irgendjemand muss ja vor der Wähler-Öffentlichkeit dafür verantwortlich gemacht werden. Und hatte Annette Kulenkampff nicht vor kurzem der FAZ in einem Interview gestanden, dass die Kostenexplosion „schlimm“ war, dass sie „nicht hätte passieren sollen, die Verantwortung dafür müssen wir tragen“?
Mit Kulenkampffs Demission erzwingen die Documenta-Träger freilich den zweiten vor dem ersten Schritt. Und solange sie nicht rechtlich belastbare Details aus dem Wirtschaftsprüfungsbericht vorlegen können, der dem Aufsichtsrat der Documenta Mitte November vorlag, nährt das den Verdacht, dass Annette Kulenkampff als Bauernopfer für etwas herhalten soll, was besser nicht das Licht der Öffentlichkeit erblickt.
Das wirkliche Problem löst aber auch die Trennung von Kulenkampff nicht. Denn spätestens seit der 3. Documenta im Jahr 1964 leidet das mythische Unternehmen Documenta an einer nur schwer zu behebenden Sinnkrise. Mit dem Abtritt Arnold Bodes vor 53 Jahren zeichnete sich das Scheitern der Meistererzählung vom Triumph der von den Nazis verfemten Moderne ab, der die Schau ihre Entstehung verdankt.
Fotografie, Pop und Joseph Beuys lösten die Idee von der Kunst als Königsweg zur Abstraktion in ein Labyrinth politisch kontaminierter Stile auf. Auch das globale Forum des state-of-the-art kann die Documenta kaum noch sein. Zu viele Kunstausstellungen, Biennalen und Kunstmärkte sind seitdem aus dem Boden geschossen.
Um neue Kunst zu sehen, muss heute niemand nach Kassel fahren. Auch wenn das Fremdenverkehrsamt der nordhessischen Metropole das sicher anders sieht. Documenta-Chef zu werden, ist zwar prestigereich, gleicht aber einem Himmelfahrtskommando. Jeder Chefkurator oder -kuratorin muss alle fünf Jahre irgendwie das Mantra – Weltweit bedeutendste Ausstellung zeitgenössischer Kunst – bedienen.
Jan Hoet rettete sich 1992 mit einer Exzentriker-Documenta aus dem Dilemma. Fünf Jahre später zeigte Catherine David der Malerei den Stinkefinger. Adam Szymczyk trug dieses Jahr bekanntermaßen die Eulen der Kunst nach Athen. Grenzüberschreitung liegt also sozusagen in der DNA der Documenta. Mit etwas Glück führt sie aber auch zum schönsten Luftschloss der Kunst-Welt.
Szymczyk selbst hat seine Variante dieses Überbietungswettbewerbs nicht das Erhoffte gebracht. Sein Großaufgebot an Politkunst fiel bei der Kritik in Ungnade. Und nützte auch ihm selbst nichts. Den Posten des Direktors am Nationalmuseum für Zeitgenössische Kunst, mit dem der geniale Eigenbrötler die Post-Documenta-Depression im sonnigen Athen kurieren wollte, verwehrte ihm Griechenlands Kulturministerin Lydia Koniordou dieser Tage. Warum? Szymczyk wollte mehr Geld.