„Armes Volk, selbst in den Gräbern stört man deine Ruhe!“ Alexander von Humboldt, Altmeister der Künstlerischen Forschung, plagte ein schlechtes Gewissen, als er 1800, auf einer seiner Südamerika-Reisen, aus der Höhle von Ataruipe, einer Begräbnisstätte des ausgestorbenen Stammes der Atures-Indianer, Knochen und Schädel mitgehen ließ. Ihm schwante schon, dass er da an einer moralischen Grenze operierte.
Von derlei Selbstzweifeln war das Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) gänzlich ungetrübt, als es in Polen die Asche mutmaßlicher Holocaust-Opfer mitgehen ließ, um sie als illuminiertes Beweismittel in Sachen unterlassener Erinnerung im Berliner Regierungsviertel auf einen Stahlpfahl zu ziehen.
Etwas wie diese morbide Lavalampe mit posthumanen Schwebestoffen muss Guy Debord vor Augen gehabt haben, als er sein Verdikt „Die Gesellschaft des Spektakels“ schrieb.
Der Zweck des größtmöglichen Schockeffekt heiligt bei Philipp Ruchs Gesellschaft mit moralisch beschränkter Haftung nicht zum ersten Mal die pietätvollen Mittel. Die toten Einwanderer von den EU-Außengrenzen, denen die Hohepriester der grausamsten Kunstfreiheit vor vier Jahren Schau-Gräber in Berlin aushoben, hatten wahrscheinlich per Patientenverfügung eingewilligt, als Demonstrationsobjekte der Direct Action zur letzten Ruhe gebettet zu werden.
Bedurfte es erst des massiven Protestes der Hinterbliebenen und der Opferverbände, um die die nekrophilen Marterpfähle wieder zu verhüllen? Oder war diese Volte auch nur höhere Dialektik, die wir nicht verstehen, solange wir noch nicht das Ruß-Mal der Gerechten und Erleuchteten tragen?
Sich zu entschuldigen, sich im gleichen Atemzug aber als „Sturmtruppe für die Errichtung moralischer Schönheit, politischer Poesie und menschlicher Großgesinntheit“ wieder aus dem Sumpf des Kniefalls zu ziehen, wie es am Ende des Nostra-culpa-Textes des ZPS hieß, ist der Gipfel politmoralischen Virtuosentums.
„Gedenken heißt kämpfen“ steht auf einem Banner über dem stählernen Erinnerungspoller. Die Nähe zur NS-Rhetorik ist fatal. Die Sturmtruppen zur Errichtung der sittlichen Schönheit, der nationalen Poesie und des menschlichen Großreinemachens, deren mörderisches Erbe das ZPS eigentlich aufgearbeitet und perspektivisch wissen will, hätten es nicht martialischer skandieren können.
„Die Hoffnung auf den Moralischen Fortschritt der Menschheit liegt in der Kunst“ hat Philipp Ruch einmal gesagt. Wer in ihrem Subgenre Erinnerungsästhetik derart fundamental versagt, sollte die Gummizelle falsch verstandener Schönheit aber besser endgültig schließen.