„Ich verstehe“. Den Satz sagt Queen Elisabeth immer dann, wenn sie mehr ahnt, als versteht. Aber so tun muss, als ob. Wenn ihr der Premierminister eine internationale Krise ankündigt, eine drohende Kabinettsintrige. Oder wenn ihr Privatsekretär ihr vorsichtig beibringen muss, dass Prinz Philipp in eine delikate Affäre verwickelt ist, die das Königshaus und die royale Ehe kompromittieren könnte. Sie strafft den Rücken, rückt den Kopf gerade und nimmt Haltung an wie ein energischer Wellensittich.
Wenn jemand eine Möglichkeit gesucht hätte, der britischen Monarchie den Todesstoß zu verpassen. Die Pose erhabener Ratlosigkeit, in die sich Regisseur Stephen Daldry Ihre Majestät Königin Elisabeth II. alias Claire Foy alias Olivia Colman in Peter Morgans Netflix-Seifenoper „The Crown“ retten lässt, wäre eine solche. Diese Königin wider Willen wirkt wie die Karikatur von Lenins Diktum, dass jede Köchin in der Lage sein müsse, die Staatsmacht auszuüben.
Folge um Folge bestätigt die überaus erfolgreiche Serie unser Vorurteil von dem englischen Königshaus als skurriles Paralleluniversum mit defizitärer Führungskompetenz. Während Großbritannien durch eine schwere Wirtschaftskrise taumelt, ist die Königin mehr an der Innovation ihres eigenen Unternehmens interessiert.
Mit ihrem Busenfreund und Stallmeister, dem 7. Earl von Carnavaron, genannt „Porchey“, verschwindet sie auf eine „fact-finding-mission“ in Sachen Pferdezucht nach Frankreich und in die USA. Und als 1957 die Suez-Krise ausbricht, beschäftigt sie vor allem das Foto einer Ballerina, welches sie in einer Reisetasche ihres Mannes gefunden hat. So konsequent wie sie auf die Binnenperspektive setzt, zeigt „The Crown“ die Welt, vom Palast aus, gesehen.
Als Elisabeth 1953 gekrönt wurde, durfte der sublime Moment der Salbung mit dem heiligen Öl, von dem es im Buckingham Palast noch einen Rest geben soll, den Augen der Gäste in der Westminster Abbey mit einem Baldachin entzogen. In der Serie erscheint dieses göttliche Institut aber als durchaus anfällig für irdische Untugenden. Wie die Hohenzollern haben auch die Windsors in Gestalt Ihres eitlen Protagonisten, dem abgedankten König Eduard VIII., mehr als nur mit den Nazis geliebäugelt.
Die Binnenperspektive sagt auch etwas aus über die eingeschränkte Wahrnehmung der Macht. Wie viele Tage dauert es, bis Elisabeth begreift, dass sie auf das schwere Bergwerksunglück 1966 im walisischen Aberfan mit einem raschen Besuch hätte reagieren müssen? Mag sie auch als PR-Coup eingefädelt worden sein. Angesichts dieser Geburtsfehler des Palastlebens gewinnt der Exit von Harry und Meghan Sussex aus dem royalen Wahrnehmungsgefängnis den Charakter einer exemplarischen Befreiungstat.
„The Crown“ ist freilich auch eine melancholische Entwarnung vor der Renaissance der Willkür des Gottesgnadentums. Entrollt sich doch vor unseren Augen das Drama des Machtverlustes – bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der symbolischen Oberhoheit.
„Wir sind Marionetten geworden“ beklagt Queen Mom Elisabeth mit verbitterter Miene den schleichenden Tod der Monarchie, kurz bevor ihre Tochter nach Lord Altrinchams geharnischter Kritik an ihren entrückten öffentlichen Auftritten 1957 das Ruder herumreißt, zum ersten Mal eine Weihnachtsansprache im Fernsehen hält, zum ersten Bürgerempfang in Buckingham Palace einlädt und sich im Schlosshof Klempner und StudienrätInnen zum Small-Talk mit den beiden gekrönten Häuptern aufreihen.
Elisabeth ist so klug, sich in das Unvermeidliche zu fügen: „Wir schauen tatenlos zu und warten bis sich das Volk entscheidet“, weist die Queen ihren geschockten Onkel Lord Mountbatten zurecht, als der sich mit dem Gedanken trägt, an die Spitze einer Verschwörung gegen die immer unbeliebtere Labour-Regierung von Harold Wilson zu treten, die ihn als Militärchef geschasst hat. „Wir haben gelernt, keine Stimme zu haben“.
Ganz schmerzlos geht das freilich auch bei einem Zwangscharakter nicht ab, der von Kindesbeinen in der Sekundärtugend „It’s our duty“ gedrillt wurde. Es gibt einen Moment in „The Crown“, in dem Elisabeth, nachdem sie ihren ersten, geliebten Premierminister Winston Churchill auf dem Totenbett besucht hat, wehmütig eine Gruppe von Wählern ansieht, die sich aus sicherer Entfernung zu ihrem mit Chauffeur gefahrenen Auto an ihrem örtlichen Wahllokal anstellen.
Sie ist die mächtigste Person des Landes. Auch wenn diese „Macht“, frei nach Georg Friedrich Wilhelm Hegel nur darin besteht, der Idiot zu sein, der einem, bis zum letzten Komma von außen diktierten Inhalt den zeremoniellen Segen des „Dies ist mein Wille. So sei es!“ verleiht. Und doch bleibt ihr eines verweigert, das ihren Untertanen Macht verleiht: die Abstimmung.
Trotz dieses kritischen Subtextes kommt die Serie zur rechten Zeit. So wie sie royalistische Sehnsüchte bedient. Nicht zufällig auch zu Zeiten, wo die demokratischen und egalitären Konditionen der Demokratie geringgeschätzt werden und zu implodieren drohen. In Zeiten des allgemeinen Kollapses bevorzugt die Seele nun mal das Stabile.
In Deutschland ist es die Schizophrenie eines Hohenzollernschlosses, das dem postkolonialen Dialog gewidmet sein soll. In Großbritannien ist es die liebevolle Annäherung an die poröse Form der Sandburg einer überforderten Familie, die oft nur mehr von einem sehr dünnen Hosenbandorden zusammengehalten wird.
Da schaut mensch auch schon einmal über den Sarkasmus hinweg, dass zu Zeiten sozialer Exklusion, beruflicher Deklassierung und verweigerter Diversität in „The Crown“ unentwegt Bürgerliche, adlige und gekrönte Weiße darüber klagen, wie sie unter ihren Privilegien, an ihrer luxuriös gepolsterten Ohnmacht leiden und wie sehr sie ein anderes Leben anstreben. Selbst ein klassenbewusster Arbeiter in der Labour-Hochburg im mittelenglischen Bassetlaw dürfte Mitleid mit Prinzessin Margarets gescheiterter Flucht in die Bohème empfinden.
Mit der Qualität des cineastischen Handwerks oder dem Schlafzimmerblick des jungen Prinz Philipp allein lässt sich die enorme Bindewirkung der Serie nicht erklären. So hölzern sind Dialoge und Szenenführung gestrickt.
Die Schlüssellochperspektive ist durch die zeitgenössische Yellow Press mehr als ausgereizt. Wirklich aufregend Neues über die Essgewohnheiten der Queen, ihre Corgies oder das Liebesleben von Prinzessin Margaret hat sie nicht wirklich zu bieten.
Der immense Erfolg rührt von der Strategie der Intimisierung. Von den Liebes- und Lebensbedingungen der gewählten Politiker wissen wir inzwischen fast weniger als von denen der Royal Family.
Und wie könnte den Massen das Seelengift des Royalen besser injiziert werden als durch die Szene, in der die Königliche Familie im Wohnzimmer von Buckingham-Palace gemeinsam vor dem Fernseher der Mondlandung entgegenfiebert oder die Queen sich morgens die Marmeladebrötchen am Frühstückstisch selbst schmiert?
In Szenen wie dieser schnurrt Ernst Kantorowiczs erhabenes Dogma von den zwei Körpern des Königs auf die Faustregel des singulären royalen Couchpotato zusammen.
So gesehen ist „The Crown“ auch eine moderne Version des Sissy-Syndroms. Einerseits bietet sie eine fantastische Spiegelfläche für die Opfer eines prämodernen double-bind: Der Verhaltensanomalie, sich für die Zuwendung, die mensch durch huldvoll gehauchte Banalitäten zu erfahren meint, mit untertänig zurück geheuchelter Zuneigung zu bedanken.
Die Monarchie als Ritual folgenloser Aufmerksamkeit und symbolischer Kompensation erodierender Solidarität nach einer schier endlosen Tory-Dekade mit seinem exzessiven Sozialabbau. Der Labour-Slogan „For the many, not for the few” bezog seinen anfänglichen Erfolg nicht nur aus der Empörung über diese soziale Schieflage, sondern auch aus der emotionalen Unterversorgung in der neuen britischen Klassengesellschaft.
Mag sie mit 30 Folgen auch das Geheimnis und den Mythos gründlich zerstören, aus dem das Institut des Königtums seine Magie bezieht. So gründlich leuchtet sie das Arkanum aus.
In Zeiten raubeiniger Autokraten bedient die Serie die Sehnsucht nach dem unschuldigen Herrscher, nach der Liebhaberin im Machtgewand, nach der Königin der Herzen.
In der Monarchie, sei sie auch äußerlich mit dem Makel belastet, eine Bande anachronistischer GreisInnen in verstaubten Staatsroben zu sein, schlummert der Wunsch nach der organischen Legitimität. Nach einer, von Abstimmungen und Konfliktritualen ungetrübten Einheit des Staatskörpers.
So gesehen ist „The Crown“ ein Oxymoron: Symptom des prädemokratischen Regresses und – in dem sie die Legitimitätsfrage stellt – zugleich eine Warnung davor.