„Für einen linken Populismus“. Es ist kaum drei Jahre her, dass Chantal Mouffe in der Debatte um den Umgang mit den Politikstrategien der Neuen Rechten mit einer überraschenden Intervention provozierte. Die Politologin reihte sich damit ein in die lauter werdenden Rufe von der progressiven Seite, den Populismus nicht bloß zu schmähen.
Der belgische Historiker David van Reybrouck etwa sieht in der Unterrepräsentation der Unterschicht in der Politik die Achillesferse der Demokratie. „Das Schicksal der Geringqualifizierten ist zu wichtig, um es dem dunklen Populismus zu überlassen“, begründete er ein Jahr vor Mouffes Intervention in einem Essay sein Plädoyer für eine „große linkspopulistische Partei“.
Die Versuche der Ehrenrettung eines in Verruf geratenen Begriffs hatten einiges für sich. Schließlich war es linker Politik zu allen Zeiten darum gegangen, eine Volksbewegung gegen ungerechte Herrschaft oder strukturelle Gewalt in all ihren Schattierungen zu initiieren. Schon in der späten Römischen Republik versuchten die „Popularen“ Land- und Sozialreformen gegen die „Optimaten“ durchzusetzen.
Die Einwände gegen den Populismus liegen freilich ebenso auf der Hand. Würde der Versuch, die Linke im Kampf gegen Postdemokratie und Neoliberalismus dadurch schlagkräftiger zu machen, dass sie Methoden der rechten Populisten übernimmt, am Ende nicht selbst in der Sackgasse des Völkischen, Rassistischen und Xenophoben enden?
Wer könnte garantieren, dass sich so tatsächlich der progressive „kollektive Willen“ formen ließe, der Mouffe vorschwebt? Auch Mouffes Mahnung, der Linken könne die „Radikalisierung der Demokratie“ nur gelingen, wenn sie erkenne, wie wichtig Affekte als treibende Kraft in der Politik seien, bleibt einem angesichts des Washingtoner „Volks“-Aufstandes vom 6. Januar im Halse stecken.
Was die Kultur im Allgemeinen anbetrifft, rennen Mouffe et al. mit ihrem Schlachtruf gleichsam offene Türen ein. Das Verhältnis der Linken zum Populären ist spätestens seit Antonio Gramscis Entdeckung der Massenkultur als Medium und Schauplatz der Kämpfe um Hegemonie tendenziell positiv.
Selbst die Kultur der (bürgerlichen) Moderne kennzeichnet der Versuch, die Grenze zwischen Kunst und Leben, Kunst und Volk zu überwinden, sich das Populäre einzuverleiben – vom Kubismus über die Pop- bis zur Street-Art. Den vorläufigen Höhepunkt des ästhetischen Populismus markiert der britische Künstler Banksy.
Wer die Inflation von Ausstellungen diverser Moderichtungen und – schöpfer, über Marvel-Comics oder Rockstars wie David Bowie oder Björk bis hin zu dem brutalen Populisten Ai Weiwei in den letzten Dekaden in den großen Museen der Welt beobachtet, kann ohne Übertreibung behaupten, dass die großen Kulturinstitutionen dem Populären Raum einräumen, es nobilitieren wollen. Mit der Gefahr, dadurch ihre Rolle als Orte aufzugeben, die sich von der Konsumgesellschaft unterscheiden.
Populistische Kunst für das Volk, nicht für die kulturelle Elite, leitet sich aus den Formen und Zeichen der populären Massenmedien und Alltagsikonen ab. Indem sich KünstlerInnen in den Sozialen Medien offensiv als populäres Symbol inszenieren, spiegeln sie diesen populären Markt wider.
Ob derlei populäre Kunst den gesellschaftlichen Fortschritt befördert hat, ließe sich allerdings bezweifeln. Andy Warhols Siebdrucke zum Electric Chair aus den Death-and-Disaster-Paintings haben den Vormarsch eines Todesstrafen-Populismus à la Donald Trump nicht stoppen können.
Welche konkreten Formen der Kunst Mouffe in dem gegenhegemonialen Stellungskampf präferiert, bleibt vage. Offenbar geht es nicht um eine linke Variante der Quote, die neurechte Bewegungen etwa dem nationalen Schlager in den Hitparaden einräumen wollen. Ihr geht es eher um „künstleraktivistische Praktiken“ wie denen Alfredo Jaars, des Künstlerduos Yes Men oder ein „Ensemble von Sprachspielen“. Ihnen traut sie „gegenhegemoniale Interventionen“ zu, die „kleine Risse im System“ schaffen könnten.
Mouffe geht es um die Produktion von „Ideen, denen die Macht eignet, zu berühren“. Keine antikapitalistische Anstrengung komme im semiotisch, performativ und emotional kodierten Postfordismus mehr ohne die Mobilisierung der Affekte und Leidenschaften aus. Doch wenn sie die Kunst als Medium definiert, das dabei helfen soll, neue „Formen der Identifizierung“ zu ermöglichen, reduziert sie diese auf die Rolle eines Emotions- und Zeichengenerators.
Und auch wenn sich dieses „andere Begierde- und Affektregime“ an einer egalitären und demokratischen Vision orientierte, diente die Kunst in ihrem Konzept dann einem politischen Zweck: der hegemonialen Operation, das zu konstruieren, was sie ein „Volk“ nennt (und nicht etwa wie Hans Haacke „Die Bevölkerung“).
Und sie diente dem Zweck, die „agonistische Dynamik“ gegen die postpolitische Erstarrung zu befördern. Populismus im Sinne des ressentimentfreien Rückgriffs auf das Populäre und Alltägliche kann die Kunst entmystifizieren und sie als Teil einer breiteren Kultur markieren. Kunst, die diesen Terminus verdient, erfordert jedoch Nachdenken. Ohne Diskurse, Geschichte und Theorie würde sie diese auf einen billigen Nervenkitzel reduzieren.
Die Schwundstufe des kulturellen Populismus lässt sich an den Hinterlassenschaften des vierjährigen, künstlerischen Sturmlaufs gegen Donald Trump ablesen: Trump mit Hitler-Bärtchen, als Klopapierrolle, als riesiger Luftballon, das ihn als Baby in Windeln und mit Handy zeigt. Mal bläht sich der Autokrat zum XL-McBurger aus Wurst- und Käsescheiben, mal entfährt der amerikanischen Freiheitsstatue die Sprechblase „Help“.
Kunst ist komplex. Sie wird immer in Spannung zu populistischen Idealen stehen. Sie bildet Gesellschaft und Gemeinschaft. Sie ist aber auch ein System, das die eingeübten Codes, Bildzeichen und das Vokabular stört. Ihr Charakteristikum ist die Kraft eines Rätsels, das nicht sofort zu entschlüsseln ist. Sie fordert die alltägliche Erfahrung heraus, setzt auf das Unerwartete. Mit anderen Worten: Sie ist das genaue Gegenteil von Populismus.