Als türkische Richter vor zwei Jahren die kurdische Künstlerin Zehra Doğan fragten, ob sie Fotos von Häusern in Kurdistan mit türkischen Flaggen versehen habe, antwortete die junge Malerin und Journalistin: „Sie haben dieses Bild gemalt, nicht ich“. Mit denselben Worten hatte Picasso einst einen deutschen Soldaten in Paris beschieden, der ihn fragte, ob er das Bild „Guernica“ gemalt habe – eine Ikone der politischen Kunst. Picassos Antwort sollte zeigen: Dass dieses Bild überhaupt nötig geworden war, das war allein die Schuld der Deutschen.
Für Picasso war die Kunst (auch) eine Waffe – zum Angriff und zur Verteidigung gegen den Feind. Die Bilder der kurdischen Künstlerin Doğan sind nicht das einzige Beispiel, das die rasante Renaissance von Picassos Idee belegt. Kaum eine der fast 200 Biennalen auf der Welt, die sich nicht als politisches Statement gegen eine schlechte Welt positioniert.
Das Zentrum für Politische Schönheit stemmte sich mit seinen Aktionen gegen das Flüchtlingsdrama im Mittelmeer und den Erinnerungsverlust der AfD. Der Künstler Olafur Eliasson ließ von Asylsuchenden eine Solarlampe „Green Light“ bauen. Die letzte documenta hatte Kassels Holländische Straße nach Halit Yozgat, einem Terroropfer des NSU, umbenannt. Überall will die Kunst direkt politisch werden.
Diktatur, Ökozid, globale Armut, Flucht und Vertreibung – so wie uns der Globus derzeit um die Ohren fliegt, ist es gewiss gut und überfällig, dass Peter Weiss‘ Frage nach der „Ästhetik des Widerstands“ wiederbelebt wird. Doch wie zeitgemäß ist die Idee von der Kunst als Waffe noch – und was bewirkt sie wirklich?
Bislang blieb die Kunst als „Ersatzpolitik“ (Jacques Rancière) folgenlos. Picassos „Guernica“ im Vorraum des UN-Sicherheitsrates hat die Bombardierung Bagdads 2003 nicht verhindert, die documenta in Athen nicht das Spardiktat der internationalen Griechenland-Gläubiger. Der Obelisk des Künstlers Olu Oguibe, mit eingraviertem Jesus-Zitat auf dem Kasseler Karlsplatz, hat die deutsche Migrationspolitik nicht geändert.
Wenn der Kampf gegen die schlechte Welt nur so einfach wäre, wie Michael Abdollahis fröhliche Reinigungsfantasie suggeriert. Zwei Wochen lang hatte der Künstler 2016 mit der Skulptur eines riesigen Küchenschwamms in die Hamburger Hafenstadt gegen Rassismus und Populismus Front gemacht.
„Wenn die Kunst keine Politik macht, wer sonst?“ fragte einmal der ehemalige documenta-Kurator Dieter Roelstraete Kunststudenten ganz im Sinne der Avantgarden, die Kunst im Leben aufgehen zu lassen. Wahrscheinlich hat deswegen die jüngste Manifesta ihrer Partnerstadt eine kulturell-politische Bestandsaufnahme in Gestalt des „Palermo-Atlas“ beschert. Doch ist es wirklich Aufgabe von Kunst, die Leerstellen zu füllen, die progressive Politik nicht zu füllen vermag?
Mit seiner Anti-Brexit-Plakat-Kampagne „No man is an island“ wandelte der Fotograf Wolfgang Tillmans auf den Agitprop-Pfaden von Künstlern wie John Heartfield oder Klaus Staeck. Tillmans geht es um den offenen, angstfreien Blick auf die Welt, wie er sagt. Näher kommt Deutschlands bekanntester Fotograf diesem Ziel womöglich aber mit seinem Bild „Weak Signal“ von 2014. Von weitem scheinbar schwarzweiß, wie ein flimmernder Bildschirm zum Sendeschluss, leuchtet es aus der Nähe plötzlich wie ein intensiv farbiges Bild.
Mit diesem kaum entzifferbaren Störbild ohne erkennbares Motiv oder politische Aussage, gelingt es viel besser, worum es auch documenta-Chef Adam Szymczyk gegangen sein will: „Dinge sichtbar zu machen, die vorher weniger sichtbar waren“. Weniger gilt das für die Schrumpfköpfe, in die Sergio Zevallo auf der documenta Politiker verwandelte. Oder mit Banksys Kitsch-Graffito des weinenden Mädchens in einer Gaswolke, mit dem er die brutale Räumung des Flüchtlingslagers „Dschungel von Calais“ anprangerte.
„Ich mache keine politischen Filme, aber ich filme politisch“, mit diesem Zitat von Jean-Luc-Godar erinnerte kürzlich Catherine David, Chefin der legendären, weil politischen documenta X, an die Maxime, dass politische Kunst auch etwas mit Form(-findung) zu tun hat.
Nicht jedem gelingt der ewige Balanceakt der Politischen Kunst zwischen Schönheit und Engagement, für den der türkische Politkünstler Halil Altındere in seinem jüngsten Video das metaphorische Bild einer Gruppe von Ballerinas gefunden hat, die auf Zehenspitzen vor einem Plakat mit der Aufschrift „Resist“ tanzen.
Souveränes Wahrnehmen und kritisches Sehen – wenn Kunst dazu befähigt, so wie in Tillmans „schwachem“ Bild, dann ließe sich vielleicht tatsächlich mit Ai Weiwei sagen: „Die Revolution ist nicht künstlerisch, aber die Kunst kann revolutionär sein.“