Frau Yadigars Blumen. Irgendwann ist wahrscheinlich jeder Berliner schon einmal an dem 45 Quadratmeter-Glasverschlag in der Fußgängerebene des U-Bahnhofs Kottbusser Tor vorbeigekommen. Seit 33 Jahren steht Yadigar Igde in dieser floralen Zwischenwelt, 14 Stunden am Tag. „Frau Yadigars Blumen“, die temporäre Installation, mit der die Berliner Foto-Galerie „Maifoto“ vergangene Woche diese prekäre Existenz am Rand ins Rampenlicht der Kunstwelt rückte, war Soli-Aktion, Kontextverschiebung und Perspektivwechsel zugleich. „Frau Yadigar ist schön. Ihr Laden auch“ weiterlesen
Zweigeteilt? Niemals!
„Wir lassen uns unsere Documenta nicht nach Athen wegnehmen“. „Die schöne alte alte Idee, an einem einzigen Ort, die Kunst der Welt zusammenzubringen, ist verloren“. Misst man sie nur an der Empörung in Politik und Feuilleton, dann darf man die jüngste Entscheidung der Documenta, das Mekka der Kunst im Jahr 2017 an den südosteuropäischen Rand Europas zu transferieren, schon mal einen vollen Erfolg bezeichnen. „Zweigeteilt? Niemals!“ weiterlesen
Der Verzweifelte
Selfies: So neu ist diese schöne Kulturtechnik nun wirklich nicht, wie jetzt einige tun. Es ist da ähnlich wie bei der virtuellen Realität. Auch sie hatte ihre Vorläufer. Schon das Barock mit seinem Hang zum Illusionismus stützte sich auf raffinierte malerische Täuschungstechniken und virtuelle Effekte. Das Trompe-l’œil zum Beispiel sollte mittels perspektivischer Darstellung Dreidimensionalität vortäuschen. Und was das „Selfie“ anbetrifft, kann man ohne Mühe 150 Jahre zurückgehen. Gegen das „Selbstbildnis als Verzweifelter“, das der französische Maler Gustave Courbet 1844/45 schuf, ist der amerikanische Schauspieler James Franco, der ungekrönte König der digitalen Selbstentblößungen, ein ziemlicher Waisenknabe.
Ice Bucket Fuck Nut
Schmerzensmänner, Schmerzensfrauen
Was bewirken eigentlich kulturelle Solidaritätsaktionen? Das könnte man sich am Ende eines beispiellosen medialen Hypes fragen. Denn „Evidence“ – die große Ai-Weiwei-Retrospektive im Martin-Gropius-Bau – war natürlich auch als Solishow für den von den kommunistischen Machthabern in China drangsalierten Künstler gedacht. Sie endete nach drei Monaten mit einem Besucherrekord, wie ihn das Haus seit der Frida-Kahlo-Retrospektive vor vier Jahren nicht erlebt hat. Knapp eine Viertelmillion Menschen besuchte die Schau, selbst Bundespräsident Gauck pilgerte durch den Parcours. Gropius-Bau-Chef Gereon Sievernich bilanzierte eine der spektakulärsten Ausstellungen seiner zu Ende gehenden Amtszeit mit einem denkwürdigen Anfall rhetorischer Blockbusterei. Er erklärte Ai gleich zum „wichtigsten Künstler Chinas“. Doch trotz des immensen Aufwands ist die Aktion Ai seltsam folgenlos verpufft. „Schmerzensmänner, Schmerzensfrauen“ weiterlesen
Curator’s View
Ein Aluminium-Lineal auf einem grauen Holztisch – “Portrait Bruno van Lierde”, die Arbeit, die der niederländische Fluxus-Künstler Stanley Brouwn 2010 für den belgischen Industriellen Bruno van Lierde schuf, ist nicht gerade das klassische Porträt eines Sammlers. Aber womöglich faszinierte gerade diese radikale Abstraktion den Mann, der sie in Auftrag gab. Zu sehen war die Arbeit in der klitzekleinen Ausstellung “Portrait of the Collector as a Work of Art: An Intimate Journey” nur während der drei Tage der Art Brüssel 2014 Ende April in der belgischen Hauptstadt. Markierte die von Katerina Gregos und Frank Lubbers kuratierte Minischau doch den Kniefall vor dem Menschen mit Geld, ohne den keine Kunstmesse dieser Welt existieren könnte. „Curator’s View“ weiterlesen
Coole Kader
Nach den Kommunalwahlen in der Türkei, so erzählte es dieser Tage der türkische Schriftsteller Murat Uyurkulak, habe er sich erst einmal drei Tage betrunken und seinen Twitter-Account aufgelöst. Fassungslos und verzweifelt reagierten nicht nur Erdogan-Gegner in der Türkei auf den Urnengang Ende März. Und wie es nun weitergehen soll am Bosporus, konnte ihnen vergangenen Mittwoch auf einer Konferenz der Friedrich-Stiftung in Berlin auch niemand so recht sagen. „Coole Kader“ weiterlesen
Eine Frage der Wertschätzung
Ist Kunst Spekulationsobjekt? Wer die boomenden Kunstmessen dieser Welt von Köln bis Hongkong beobachtet, wird verständnislos schauen. Natürlich wird mit Kunst spekuliert. Und dass ein Stadtkämmerer im armen Ruhrgebiet glänzende Augen bekommt, wenn er sieht, welch schwindelerregende Summen ein Picasso, Matisse oder Munch immer neu auf internationalen Auktionen erzielen, lässt sich da leicht nachvollziehen. Doch was sich die Essener Stadtväter nun haben einfallen lassen, um den löchrigen Säckel ihres Gemeinwesens zu stopfen, mutet denn doch arg spekulativ an. „Eine Frage der Wertschätzung“ weiterlesen
Ein alter Mann beschämt Deutschland
„Freiwillig gebe ich nichts zurück, nein, nein.“ So hatte “Der Spiegel” den Münchener Kunstsammler Cornelius Gurlitt noch im letzten November zitiert. Nun hat sich der 81jährige bereit erklärt, alle unter Raubkunstverdacht stehenden seiner 1400 konfiszierten Bilder freiwillig auf ihre Herkunft untersuchen zu lassen. Und infrage kommende Bilder zurückzugeben. Im Gegenzug endet ihre Beschlagnahme. „Ein alter Mann beschämt Deutschland“ weiterlesen
Lewitscharoffs „Abartigkeiten“
“Darf ich nicht sagen, was ich denke?” In Interviews heute gefällt sich Sibylle Lewitscharoff in der Pose der unschuldig Verfolgten. Als ob die Berliner Autorin nicht wüsste, wie weit sie gegangen ist. Bei dieser Frau sind keineswegs “alle Sicherungen durchgebrannt”, als sie ihren Vortrag „Von der Machbarkeit. Die wissenschaftliche Bestimmung über Geburt und Tod“ im Dresdner Staatsschauspiel vom Stapel ließ. Das hatte die Berliner “tageszeitung” vermutet. Spätestens als Lewitscharoff sagte: “Meine Abscheu ist stärker als die Vernunft”, ging ihre Tirade so in die deutsche Kulturgeschichte ein wie eins die Thesen von Thilo Sarrazin. Hier outete sich eine christliche Fundamentalistin. „Lewitscharoffs „Abartigkeiten““ weiterlesen