Deutschland schafft sich ab. 1, 3 Millionen Exemplare hat Thilo Sarrazin von seinem antimuslimischen Bestseller verkauft. Angesichts dieses sensationellen Erfolgs ist es absolut verständlich, dass viele die Frage quält, welches Kraut gegen den latenten Rassismus gewachsen ist, den er darin so massenwirksam verbreitet.
Der Berlin-Biennale dürfen wir zumindest für die Erkenntnis dankbar sein, wie dieser Geisteshaltung auf gar keinen Fall beizukommen ist. „Deutschland schafft es ab“ heißt das Werk, mit der sich der Bildhauer und Videokünstler Martin Zet an der 7. Ausgabe der Schau beteiligen will, die die Berliner Kunst-Werke im April veranstalten. Es soll, so der Künstler, eine „raumgreifende Installation“ werden.
An unterschiedlichen Orten in Berlin und in ganz Deutschland werden in den nächsten Tagen Depots für die Abgabe des Buches eingerichtet. Aus den gesammelten Exemplaren will der 1959 in Tschechien geborene Künstler eine Installation bauen, die gezeigt wird, wenn die Biennale eröffnet. An ihrem Ende sollen die Bücher dann recyclet werden.
Dass Zets Aktion einem leider immer noch weit verbreiteten, aktionistischen Missverständnis von politischer Kunst folgt, ließe sich noch verschmerzen. Artur Zmijewski, der provokationssüchtige Kurator der Biennale, hat es seiner Schau ja vorgegeben. Bereits bei dem Open Call zu ihr war der polnische Künstler unangenehm aufgefallen, als er die Teilnehmer mittels eines Fragebogens genötigt hatte,„über ihre politische Neigung zu informieren“.
Vor allem aber geht Zets verquere Idee von dem Buch „als aktivem Werkzeug, das es den Menschen ermöglicht, ihre eigene Position zu bekunden“, zielstrebig an der Aufgabe vorbei, Sarrazin mit Argumenten zu bekämpfen, statt bloß das Corpus delicti aus der Welt zu schaffen. Immerhin passt sein Projekt hervorragend zu Zmijewskis furchtbarer Definition, dass Künstler in der Lage seien, „dieselben Ereignissequenzen in Gang zu setzen wie Politiker“. So sagte es der Kurator kürzlich in einem Interview mit der Zeitschrift der Bundeskulturstiftung, die die Berlin-Biennale mit 2, 5 Millionen Euro unterstützt.
Doch verschwinden Alltagsrassismus und Fremdenfeindlichkeit aus den Köpfen der Deutschen, wenn es 60.000 Sarrazin-Bücher weniger im Lande gibt? Fünf Prozent der Gesamtauflage des Schmökers will der Künstler entsorgen. Oder müsste man dazu – um in seiner kruden Materiallogik zu bleiben – nicht besser 60.000 der Dummköpfe einsammeln, die Sarrazins Thesen nachplappern?
Zets Aktion ist das Paradebeispiel eines hilflosen Anti-Rassismus. Mit dem er sich ohne Not in die Nähe einer heiklen Symbolik manövriert. Zwar ruft er nicht zur Bücherverbrennung auf. Doch der Hinweis auf die Ästhetik des Recyclings und der Rohstoffverwertung überzeugt nicht. Denn das Wort „Sammelstelle“, mit der der Künstler die Orte bezeichnet, an denen Teilnahmewillige ihr Sarrazin-Buch loswerden können, ist – gelinde gesagt – doppeldeutig. Zusammen mit der Vokabel „Entgiftungsaktion“, mit der die Kunst-Werke die Aktion verteidigen, weckt das ungute Assoziationen an Büchervernichtung, Volkshygiene und Deportation.
Es ist ein Zeichen falsch verstandener Solidarität, dass bis auf ein paar Ausnahmen so viele renommierte Kultur-Institutionen, von der Berliner Fotogalerie c/o über das Münchener Lenbachhaus bis zum Hamburger Kunstverein bei dieser mehr als unterkomplexen Aktion mitmachen. Die wieder einmal Bert Brechts These bestätigt, dass die Dummheit unsichtbar wird, wenn sie große Ausmaße annimmt. Am Ende dürfte Thilo Sarrazin endgültig als der Märtyrer dastehen, zu dem er sich jetzt schon stilisiert. Während die Kunst-Werke Gefahr laufen, sich selbst abzuschaffen – indem sie schlechter Kunst eine Plattform bieten.