L´etat c´est moi. Unter Ludwig XIV. war die Sache noch klar. Der Staat, das war, auch ästhetisch, der Herrscher. Der Potentat verkörperte die Nation. Und stand folglich ganz oben auf den Denkmälern zu ihrem Ruhm, In der Demokratie ist es komplizierter. Die Sozialbeziehungen werden immer abstrakter, Macht und Herrschaft funktionieren fast anonym, Herrschaft wird auf Zeit vergeben: All lässt sich nicht mehr in einer einzigen Figur zusammenfassen. Ein Nationaldenkmal ist in der Moderne also ein Widerspruch in sich. Zumal in Deutschland. Der Bau eines germanischen Mythenspargels wie dem Niederwalddenkmal am Rhein, mit dem das Deutsche Reich 1871 der Einigung Deutschlands feierte, wäre heute ganz und gar unmöglich. Bei Rüdesheim hält die Germania in der Rechten die Krone und in der Linken das Schwert. Man stelle sich vor: Ein Reiterstandbild Helmut Kohls in Berlin, der Kanzler der Einheit reitet hoch zu Roß durch die deutsche Nacht, angetan mit dem Mantel der Geschichte.
Gemessen an diesem ästhetischen Dilemma ist der zweite Wettbewerb für das „Freiheits- und Einheitsdenkmal“, dessen Bau der Bundestag im November 2007 beschloss, ganz ordentlich ausgegangen. Noch im letzten Jahr scheiterte der erste Wettbewerb kläglich: Alle 563 eingereichten Entwürfe wurden als untauglich befunden. Die die drei Entwürfe, die eine 15-köpfige Jury nach dem Debakel diesmal in die engere Auswahl nehmen konnte, haben alle eins gemeinsam: Sie schürfen zwar nicht übermäßig tief. Aber sie kommen ohne jede fragwürdige Nationalsymbolik aus. Und alle im Berliner Gropius-Bau seit Montag ausgestellten 28 Entwürfe, die unter 368 Einsendungen beachtenswert schienen, preisgekrönte wie ausgeschiedene, flüchten sich nicht in irgendwelche Mythologisierungen.
Unbestrittener Eye-Catcher ist der fünf Meter hohe, kniende Mann, den der Karlsruher Bildhauer Stefan Balkenhol auf den Sockel des ehemaligen Nationaldenkmals für Kaiser Wilhelm auf der Schlossfreiheit stellen will. Der ist zwar figürlich, symbolisiert aber den quasi abstrakten Jedermann der Geschichte. Dass dessen Haltung Erleichterung über das Ende der Unterdrückung und Dankbarkeit darüber ausdrücken soll, dass die Wiedervereinigung unblutig verlief, lässt sich nachvollziehen. Letztlich erinnert die Arbeit aber zu sehr an Willy Brandts Kniefall vor dem Mahnmal im Warschauer Getto 1970. Sie hat zwar die nötige Demut und verzichtet auf Triumphgesten. Aber man sieht vor dem geistigen Auge schon jetzt die knipsenden Touristenscharen vor dem Mail in Stellung gehen. Und Balkenhols Arbeit ist vielleicht doch zu wenig zukunftsweisend.
Auch der „Versammlungsraum freier Bürger“, den der Stuttgarter Architekt Andreas Meck unter ein Flachdach auf den Wilhelms-Sockel stellen will, bietet zivilgesellschaftliche Tugenden statt etatistischem Pathos. Nur mit dem Metallband im Boden, das an den ehemaligen Grenzverlauf erinnern soll und dem transparenten Dach, das aus einem typografischen Gewebe von Aussagen deutscher Bürger zu den Begriffen „Einheit“ und „Freiheit“ gewirkt sein soll, bekommt die Arbeit eine didaktische Schlagseite.
Die berückendsten Qualitäten besitzt aber zweifellos die riesige Schale, die die Stuttgarter Gestalter Milla und Partner auf das denkmalgeschützte Sockel-Gelände stellen wollen. Dass in goldenen Lettern „Wir sind das Volk. Wir sind ein Volk“ auf ihr stehen soll, ist noch einigermaßen konventionell. Dass sie das „Gewicht der Bürger in der Demokratie“ symbolisieren soll, klingt schon revolutionärer. Denn je mehr Menschen die riesige Eierschale über eine Rampe betreten, desto stärker soll sie schwanken. Das Denkmal trägt den programmatischen Titel „Bürger in Bewegung“, Sasha Waltz hat daran mitgearbeitet. In der Denkmalgeschichte würde mit ihm ein neues Kapitel namens „Performanz“ aufgeschlagen. Irgendwie könnte man sich dieses Denkmal aber gut in Stuttgart vorstellen.
Richtig streiten lässt sich noch am ehesten über den geeigneten Platz. Was hat die Berliner Schlossfreiheit mit der Friedlichen Revolution von 1989 zu tun? So gut wie gar nichts. Der Alexanderplatz hätte sicher näher gelegen. Trotzdem ist es eine symbolische Transformation von Gewicht, dass vor dem historischen Katzengold des gefaketen Hohenzollernschlosses, das dort in Zukunft wieder seinen Platz finden soll, „das Volk“ so demonstrativ in den Mittelpunkt rücken soll.
Noch sind ein paar Statik-Probleme zu lösen. Dann will die Jury den endgültigen Sieger bestimmen. Dass dasjenige der drei Denkmale, das am Ende schließlich gebaut wird, dann zu dem „nationalen Symbol“ avanciert, das sich der Deutsche Bundestag und Kulturstaatsminister Bernd Neumann wünschen, braucht aber niemand zu befürchten. Nicht nur, weil sich eine auch symbolisch so ausdifferenzierte Gesellschaft wie die deutsche nicht mehr auf ein einzige Einheitsidee verpflichten lässt. Sondern auch, weil die Gruselformel von der „deutschen Einheit“, definiert man sie in der einzig erträglichen Variante, nämlich sozialökonomisch, längst nicht erreicht ist.
Insofern wäre die Wahl des (ausgeschiedenen) Entwurfes der Hamburger Architektin Gesine Weinmiller vielleicht doch einleuchtender gewesen. Sie will einen acht Meter hohen Steinblock auf den historischen Sockel stellen, der die drückende Last der Geschichte symbolisiert. Wer durch einen schmalen Spalt tritt, steht plötzlich in einem hohen Raum ohne Dach, in dem man in den Himmel sehen kann. Die Zukunft ist nach oben offen. Es gibt kein Ende der Geschichte. Hier darf von ihr geträumt werden.