Mit der „Quadriennale“ will die Landeshauptstadt Düsseldorf der Kunsthauptstadt Berlin Konkurrenz machen. Doch dafür ist die Schau zu nostalgisch geraten
Der Mann mit dem Hut. Man erkennt ihn sofort. Stechender Blick. Er sagt kein Wort. Nur ab und zu bewegen sich die Lippen beim Atmen. Eine Minute und siebenundvierzig Sekunden fixiert er stumm einen anonymen Betrachter. Man könnte auch sagen: Die „Soziale Plastik“ – so der Titel der Arbeit von 1969 – schweigt.
Man darf die Video-Arbeit, die den Besucher im Erdgeschoss der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen empfängt, durchaus paradigmatisch nehmen. Denn der Mann, der in diesem Jahr im Zentrum der großen Leistungsschau der Kunst steht, die Düsseldorf alle vier Jahre unter dem Namen Quadriennale veranstaltet, wirkt in der zentralen Ausstellung „Parallelprozesse“ wie kaltgestellt, auf lautlos gedreht.
Reduktion und Konzentration ist das Motto der von Monika Ackermann und Isabelle Malz kuratierten Retrospektive. Die Idee, Beuys einmal nicht als den großen Agitator in Szene zu setzen, wie es Berlins Ex-Museen-General Peter-Klaus Schuster noch vor Jahresfrist im Hamburger Bahnhof vorführte, ist ein Indiz für die unausweichliche Historisierung einer Epoche, die jahrzehntelang wie der Geist über den Wassern der Gegenwartskunst in Deutschland schwebte. Diese Entmystifizierung ist erlaubt, ja notwendig, je weiter die Ära Beuys zum zeitgeschichtlichen Schemen verblasst. Es hätte des rechtfertigenden Hinweises von Ackermann, seit September 2009 Direktorin der Kunstsammlung NRW, also nicht bedurft, dass auch für Beuys selbst „Musealisierung ein kreativer Prozeß“ war.
Beuys auf den formalästhetischen TÜV gelegt also. Das Ergebnis ist ambivalent. Die Ideen des Schamanen teilen sich auch ohne Tausende Videos und hektographierte Pamphlete mit: Die Kreislaufidee der „Honiggpumpe am Arbeitsplatz“, die Beuys auf der documenta 1977 aufbaute, funktioniert auch ohne die „Free International University“, die die Aktion in Kassel 100 Tage lang begleitete. Bei „Stripes from the House oft he shaman 1964-72“ ist es schon komplizierter. Die Filzstreifen, mit denen Beuys die Philosophie des rechten Winkels aufbrechen und einen „eurasischen Raum“ schaffen wollte, wirken plötzlich wie die Relikte eines Edel-Minimalismus. Bei seinen Papierarbeiten dagegen wird sich der Betrachter des aufregenden Gegensatzes zwischen einem Künstler bewusst, der mit seinen „ultravisiblen Zeichnungen“ das Verschwinden anstrebte und dann so endgültige Werke wie „Blitzschlag auf Lichtschein mit Hirsch“ schuf.
Zeige deine Wunde
Trotzdem fehlt das Energetische der Beuys’schen Präsenz, seiner Zeigerituale und Performances. In diesem extrem distanzierten Blick auf einen Übervater mutiert Beuys zu einer Bang und Olufsen-Baureihe: So cool, elegant und geräuscharm, wie er hier aufgebahrt wird, passt selbst „zeige deine Wunde“ von 1974/75, das verstörende Memento mori mit den zwei Seziertischen unter Schiefertafeln, plötzlich in‘s neubürgerliche Wohnzimmer.
Mit der Quadriennale will Düsseldorf sich als neues Kraftzentrum der Kunst präsentieren. Die ewige Rivalin Köln ist abgehängt. Die mit fünf Millionen Euro von der Stadt alimentierte Superschau aus zehn Ausstellungen zielt jetzt offen auf die Konkurrenz zu Berlin. Das ist gut für den deutschen Kulturföderalismus, den der Hype um die Hauptstadt zu unterminieren beginnt. Verfehlt sie jedoch, weil dieses „Projekt“ so demonstrativ auf die Vergangenheit und gesicherte Werte setzt. Ließ sich bei der letzten Quadriennale 2006 aus den ebenfalls gut abgehangenen Publikumsmagneten Bruce Nauman, Francis Bacon und Caravaggio – alle schwule Männer – mit etwas ideologiekritischem Spürsinn noch ein kritisches Körperverhältnis als ideologischer Extrakt destillieren, steht man etwas ratlos vor der Auswahl vier Jahre später. Während die Kunst in Berlin lustvoll Neuland beschreitet, lässt Düsseldorf das Erbe beschwören.
Das kann sich durchaus sehen lassen. Die Ausstellung „Der Rote Bulli“ im NRW-Forum am Hofgarten, direkt neben der Kunstakademie, resümiert noch einmal die Erfolgsgeschichte der Düsseldorfer Schule. Auf die Fotografen Bernd und Hilla Becher wirkte es elektrisierend, als sie zum ersten Mal das Bild des amerikanischen Fotografen Stephen Shore aus dem Jahr 1974 sahen. Der rote VW-Bus am Straßenrand einer Industriekleinstadt in Pennsylvanien beeinflusste, ja initiierte ihre serielle Konzeptfotografie. Und die ihrer Schüler. Doch wirklich Neues bietet die Schau von Axel Hütte über Andreas Gursky bis Boris Becker ebenso wenig wie der Parcours der Kunst der achtziger Jahre, den Julian Heynen unter dem Titel „Die Auswertung der Flugdaten“ im K21, der Dependance der Kunstsammlung im Ständehaus, dem ehemaligen Sitz des NRW-Parlamentes, aufgereiht hat: Katharina Fritsch oder Reinhard Mucha betrachtet man doch eher wie gute alte Bekannte. Nur Isa Genzkens „Hyperbolos“, ihre bis zu zehn Meter langen, elliptischen Krümmungskörper wirken in ihrer überzüchteten Perfektion wie überzeitliche Male der Raumbildung und zweckfreier Virtualität.
Ein anderer Schamane ist der zweite große Säulenheilige der Quadriennale: Nam June Paik, von 1979 bis 1995 Professor an der Düsseldorfer Akademie. „Humanizing technology“ – die Kunst des Mannes, der das Wort vom „Information Highway“ erfand, ist alles andere als visueller Schnee von gestern. So viel spielerische Ironie dem eigenen Medium gegenüber, wie sie Paik in seiner Arbeit „Moon ist he oldest TV“ 1965 demonstrierte, würde man den Propheten der digitalen Bohème heute wünschen. Auf 12 Monitoren sind da im Museum Kunstpalast Ansichten des zu- und abnehmenden Mondes zu sehen. Doch auch diese Arbeiten hat man schon häufig gesehen. Und die Zeiten ändern sich. Wie Katharina Sieverdings Installation demonstriert. An der digitalen Bilder-Collage aus dem privaten Archiv der Beuys-Schülerin, heute Professorin in Berlin, kann man sehen, dass heute eben nicht mehr Gabriele Henkel und Joseph Beuys den Ton in der Kunstrepublik Deutschland angeben, sondern Klaus Biesenbach und Jonathan Meese.
In der Intensif-Station
Die wenigen Jungen in diesem aufwändigen Nostalgieprojekt“, bleiben blass. Oder wirken – wie der riesige, violette Bild-Rochen den Katharina Grosse an die Johanniskirche, gleich um die Ecke von Düsseldorfer Flaniermeile Kö gehängt hat – wie juvenile Fußnoten. Brav üben in der Kunsthalle zehn junge Künstler von Tacita Dean bis Rikrit Tiravanija Marcel Broodthaers Konzeptualismus ein. Henrik Olesen versucht sich in seiner Arbeit „Some gay-lesbian artists born between 1717-1864“ an einer Repräsentationskritik des Museums. „Von realer Gegenwart“ nennt sich die Schau vielversprechend und wirkt dann so lebendig wie eine Sammlung von Klassenarbeiten. Gäbe es nicht Bjoern Dahlems wundervolle Ausstellung „Theorie des Himmels – Die Milchstraße“ – man könnte meinen, die junge Kunst verstünde sich in erster Linie als Meisterschüler. In einem ungenutzten Autobahntunnel am Rheinufer hat Dahlem seine scheinwissenschaftlichen Modelle und Arte-Povera-Universen aus Styropor, Holzlatten und Glühbirnen aufgebaut.
Natürlich gibt es immer noch eine Kunst in sozialer Verantwortung, die dennoch ästhetisch eigenständig bleibt. Um sie zu sehen, hätte es aber keiner Quadriennale bedurft. In einem der 26 Künstlerräume des K21 hat der Schweizer Thomas Hirschhorn seine Installation „Intensif-Station“ gestellt. Es erinnert an die Beuys’sche Pflastermetaphorik, wenn er Holzpfosten und Kartons mit Klebeband umwickelt. „Kunst politisch zu machen“ so Hirschhorn, „bedeutet Materialien zu wählen, die nicht einschüchtern, ein Format, das nicht dominiert, eine Anordnung, die nicht verführt“. Wenigstens hier hat man das erleichternde Gefühl: Das Schweigen von Joseph Beuys wird überbewertet.
2. Quadriennale, Düsseldorf, noch bis zum Januar 2011
Informationen: www.quadriennale.de