In Berlin schließt die Temporäre Kunsthalle. Sie braucht keinen dauerhaften Nachfolger
Am Ende wieder der Anfang: 160 Werke von 63 Architekten, Designern, Komponisten und Künstlern. Schwer zu sagen, was der Aktionskünstler John Bock da auf dem Berliner Schlossplatz zusammengebaut hatte: Flohmarkt oder Wagenburg, Notunterkunft oder Netzwerk. Zum Abschluss eines zweijährigen Experiments verwandelte sich der 1965 geborene, ästhetische Tausendsassa in einen Kurator und schlug noch einmal das Rad des Gesamtkunstwerks. Martin Kippenberger hängte er da neben Kara Uzelmann, Paul McCarthy neben Heike Aumüller. Die Besucher verloren sich in einem vollgestopften Panoptikum der unerwarteten Begegnungen, der heitersten Anarchie, in einem Irrgarten von high and low.
Und siehe – die Massen kamen noch einmal. Am letzten Ausstellungstag hingen Bock hunderte, meist jugendliche Zuhörer an den Lippen, als er in einer großartigen Performance die Kunstwerke vor einer großen Leinwand „erklärte“, während ein Kameramann durch sein dreistöckiges Kunstnest schlich und sie auf die Leinwand übertrug. „Das hat mir einfach gefallen“ verteidigt er die Entscheidung, Sandra Meisels (weitgehend unbekannte) Fotografie „Schürzung der Handlung“ aufzuhängen, auf der – wie im Krimi – eine Hand aus dem Off nach einem Lattengerüst greift: „Das ist ja das Schöne an Kunst, dass man nicht immer alles erklären und verstehen muss“. Danach war Schluss. Einen Tag später verabschiedete sich die Temporäre Berliner Kunsthalle mit einem Feuerwerk aus der historischen Mitte der Stadt vom leergeräumten Schlossplatz, der Berliner tabula rasa.
Mythos White Cube
FischGrätenMelkStand, die furiose Ausstellung, die Bock zwei Monate zuvor der Kunsthalle als rauschendes Finale beschert hatte, erinnerte noch am ehesten an den Gründungsmythos dieser prekäresten aller Berliner Kunstinstitutionen. Noch heute schwärmen nicht nur die Berliner Kunstfreaks von der im Dezember 2005 quasi über Nacht aus dem Boden gestampften Ausstellung „36x27x10“. Mit einem temporären White Cube wollten sie gegen den Abriss des inzwischen geschleiften Palastes der Republik protestieren. Der Titel spielte auf den 10 Meter hohen, 36 mal 27 Meter großen Raum in dem teilabgerissenen Palast an, den sie von der vorherigen Ausstellung in der Ruine übernahmen.
Eine Schau ohne Thema war das, aber erfrischend neu: Von Franz Ackermann bis Thomas Zipp waren jede Menge junger Künstler aus Berlin vertreten. Olafur Eliasson stand gleich berechtigt neben Anselm Reyle und Christoph Schlingensief. Damals kam den meisten Kunstfreunden zum ersten Mal so richtig zu Bewusstsein, wie viel kreativen Humus die Stadt inzwischen angehäuft hatte. Ein Potential, das später zu der großsprecherischen Floskel von der „Kunsthauptstadt Berlin“ gerann. Kein Wunder, dass sich damals viele fragten: Könnte man das nicht regelmäßig machen?
Zwei Jahre und acht Ausstellungen mit zweihunderttausend Besucher später wird man kaum sagen können, dass die Bilanz der Halle berauschend ist, wie jetzt überall euphorisch ventiliert wird. Gewiss war nicht alles schlecht an ihr. Trotzdem hat der Schuhkarton auf dem Berliner Schlossplatz – bis auf John Bocks Glanzstück vielleicht – nicht unbedingt (Kunst-)Geschichte geschrieben. Wie wenig überzeugend die jetzt überall diskutierte Idee ist, das Leben dieser (lange) Scheintoten nach zwei mäßigen Jahren nun partout zu verlängern und ihn an anderer Stelle wieder neu aufzustellen, zeigt ein Blick auf ihre Geschickte.
Dass die 2008 nach langen Diskussionen schließlich von dem österreichischen Architekten Adolf Krischanitz erbaute Halle nie auch nur annähernd an die Aura des ad-hoc-White Cubes im Palast anknüpfen konnte, hat viele Gründe: Eine wenig überzeugende Ausstellungsauswahl, jede Menge Personal- und Managementprobleme. Und zumindest in der Anfangsphase der Kunsthalle war es eine große Crux dieser kleinen Institution, dass man immer das Gefühl hatte, sie wolle sich in Habitus und Inhalt eher an die etablierten Institutionen anlehnen, als sie konsequent herausfordern, zugleich aber auch der Laufkundschaft der Mitte-Touristen und der örtlichen Polit-Schickeria etwas bieten: angewandtes Standortmarketing eben. Mit dem Kunstsammler Dieter Rosenkranz stand plötzlich ein Industrieller an der Spitze von etwas, das einmal als Selbsthilfeaktion von Künstlern begann. Vom Rattenschwanz der Sponsoren ganz zu schweigen.
Zu wenig Experimente
Dazu kamen die seltenen ästhetischen Herausforderungen: Zwar zogen die Künstler Jennifer Allora & Guillermo Calzadilla in ihrer Ausstellung im Sommer vergangenen Jahres mit der horizontalen Unterteilung der Kunsthalle eine neue Ebene im Raum ein. Und verwandelten so die Halle in einen großen Resonanzraum. Aber den Beweis einer wirklich weiterführenden Institutionskritik, einer Neudefinition des Whites Cubes oder der Ausstellungssituation blieben die meisten Schaus dann doch schuldig.
Angesichts dieser praktischen und ästhetischen Positionierungsprobleme einer relativ kleinen Institution war es immer irgendwie unerfindlich, warum Berlins Regierender Bürgermeister Wowereit aus der Temporären eine permanente Halle machen und 30 Millionen Euro dafür aus dem mehr als klammen Landeshaushalt loseisen wollte. Die astronomische Summe wäre in den vielen Kunst-Häusern Berlins immer besser aufgehoben gewesen als in einem Prestigeobjekt am falschen (und inzwischen glücklicherweise ad acta gelegten) Standort – dem Berliner Humboldt-Hafen. Ohne nennenswerten Ankaufs- und Ausstellungsetat haben Stadt und Staat sie zu der Unbeweglichkeit im Umgang und beim Entdecken der zeitgenössischen Kunst verurteilt, die ihnen heute vorgeworfen wird. Wären sie finanziell autonomer und nicht immer nur auf Sponsorengelder und Fördervereine angewiesen, könnten sie die Experimentierfreudigkeit beweisen, die die Berliner Szene so vehement einfordert.
Die ganz große Koalition, die sich derzeit wieder mal für eine Kunsthalle zusammenschiebt, ist ein Indiz für die immens gewachsene Bedeutung der Kunst. Ihr wird zugetraut, was der Politik nicht mehr gelingt: ein urbanes Lebensgefühl zu begründen, wahlweise die Kreativwirtschaft oder den Dialog der Kulturen zu beflügeln, Deutschland fit für den globalen Wettbewerb zu machen aber auch neue Utopien für eine andere Gesellschaft aus dem Zylinder zu zaubern. In die Begründungen dafür, warum man auch nach dem Ende der Temporären Halle eine neue Kunsthalle brauche, steckt zugleich aber auch ein antikünstlerischer Affekt. Museen gelten plötzlich als unbewegliche Tanker. Ihr historischer Auftrag ist eher hinderlich, wenn es gilt, dem sensationsgierigen Publikum schon jede Halbgarheit des zeitgenössischen Kunstbemühens als Vorschein einer Szene zu kredenzen, die ihren Genius aus dem Topos schöpft.
Hoffnung im Standortwettbewerb
Und wenn der ehemalige Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer, Vorsitzender der Stiftung Zukunft Berlin, einer der verbissensten Kämpfer für eine neue Halle, davor warnt, dass, wenn die Politik der jungen, polyglotten Kunst in Berlin kein Podium biete, diese dann eben in Paris oder London gezeigt werde, merkt man diesem durchaus unkonventionellen CDU-Mann immer noch den Politiker an, dem es in erster Linie um Standortwettbewerb geht und nicht in erster Linie um die Kunst selbst. Ganz abgesehen davon, dass hier ein Mythos von der angeblich so kreativen „Berliner Kunst“ kreiert wird, der in umgekehrtem Verhältnis zu dem steht, was man auf vielen Berliner Ausstellungen ja auch gelegentlich zu sehen bekommt: Schrott!
Es ist nichts dagegen einzuwenden, mehr für die „außergewöhnliche Kunstproduktion“ (Hassemer) zu tun, die sich unbestrittenermaßen in der Stadt bemerkbar macht. Doch dann wäre es sinnvoller, für billige Mieten und Ateliers zu sorgen und die galoppierende Gentrifizierung in den Gebieten zu stoppen, wo Künstler sich gerne ansiedeln (wie derzeit im heruntergekommenen Neukölln) als eine Kunsthalle zu bauen, die diese sagenumwobene Produktion nie auch nur annähernd wird abbilden können.
Die neue Kunsthalle, an der Klaus Wowereits Herz angeblich so hängt, hätte er längst haben können. Etwa wenn er das legendäre Kreuzberger Bethanien, statt es weiland den Besetzern aus der Yorckstrasse zu überlassen, beherzt zur Kunsthalle umgewidmet hätte. Wenn er der bunten Koalition aus Kreativ-Entrepreneuren, die vor zwei Jahren die ehemalige Blumengroßmarkthalle gegenüber dem Jüdischen Museum erschloss, den Zuschlag gegeben hätte. Oder wenn er sich entschließen könnte, das inzwischen zwanzig Jahre alte Kunsthaus Tacheles in Berlin-Mitte, um dessen Zukunft derzeit wieder mal gerungen wird, dazu umzufunktionieren. Bleibender Nachruhm bei der alternativen Szene wäre Wowereit gewiss. Und dass die sympathisch stinkende Ruine dringend eine konzeptionelle und architektonische Frischzellenkur braucht, selbst wenn sie weiter als Kunsthaus fungieren will, dürfte selbst unter ihren Anhängern kaum umstritten sein.
Anarchie und Selbstvermarktung
Trotzdem war es immer eine aberwitzige Idee, zu glauben, dass die symbolische Überproduktion im Feld Kunst, die Berlin aufzuweisen hat, über einen zentralen Ausstellungsort zu repräsentieren wäre. Noch dazu, wenn er so konzeptlos wie die Temporäre Kunsthalle geführt würde. Außerdem wimmelt Berlin nur so von Museen, Galerien und Kunsthallen aller Art. Einheimische wie zeitweilige Berlin-Besucher wissen oft nicht, zu welcher der vielen Eröffnungen sie zuerst gehen sollen. Vor allem aber sind Anarchie und Selbstvermarktung das Wesen der Berliner Kunstszene. Vom Projektort West-Germany am Kottbusser Tor über das Forgotten-Bar-Project in Kreuzkölln, vom HBC-Club im ehemaligen Haus Ungarn in Berlin-Mitte bis zum Ausstellungsraum Silberkuppe in Kreuzberg, vom Autocenter in Friedrichshain bis zum Project-Space Uqbar in Wedding reicht die Liste der ungewöhnlichen Locations mit ungewöhnlichen Präsentationsformen und einem nachgerade irrwitzigen Publikumszuspruch. Und wenn es Not tut, stellen Künstler auch mal im Hinterraum eines Spät-Kaufs auf Neuköllns Weserstraße aus. Wie es in diesem Juli mit der Gruppen-Ausstellung Little Disco geschah. Es ist gerade das Kennzeichen der Kunststadt Berlin, dass sich in ihr immer wieder neu Orte öffnen, an denen keiner Kunst erwartet. Ihnen nachzuspüren, ist tausendmal aufregender, als sich „die Berliner Kunst“ auf dem Silbertablett einer Kunsthalle servieren zu lassen.