Ein silbernes Kaninchen auf weißem Podest in einem leeren Saal. Sanft zoomt eine unsichtbare Kamera auf die spiegelglätte Skulptur, umkreist sie beständig. Doch in der glänzenden Oberfläche des Gesichtsfeldes der Skulptur spiegelt sich nichts als der leere Raum, der ihn umgibt. Keine Reflektion, nirgends: Der Fotograf mit seiner Kamera ist nicht zu sehen.
„Made in ‘Eaven“ – es ist sicher kein Zufall, dass die Videoarbeit Mark Leckeys im Zentrum von „Images“, der jüngsten Ausstellung im Kasseler Fridericianum, hängt. Schon 2004 reflektierte der britische Künstler damit einen signifikanten Umbruch unserer Bildwelt. Die Arbeit ist eine Replik von Jeff Koons „Rabbit“ von 1986, auch der Titel ist einer anderen Skulptur des Kollegen entlehnt. Statt neue Bilder zu produzieren, bezieht sich Leckey auf vorhandene, zitiert sie. Vor allem aber: Die Frage nach dem Produzenten des Bildes läuft bei ihm ins Leere.
Wie sehr die Digitalisierung das Problem verschärft hat, zwischen Autorenschaft, Original und zynisch verwässertem Zitat noch klar unterscheiden zu können, zeigt derzeit die Ausstellung „Painting 2.0“ im Münchner Museum Brandhorst. Mit Arbeiten von Maria Lassnig bis Daniel Buren mündet sie dennoch in der Behauptung, der Malerei gelinge es immer wieder, sich die visuellen Codes des Spektakels und die Techniken des Virtuellen anzueignen.
Die Kasseler Ausstellung von Susanne Pfeffer, der neuen Kuratorin für den Deutschen Pavillon in Venedig 2017, bezweifelt genau das. „Bilder“ wie Wade Guytons vom digitalen Drucker erzeugte oder Cory Arcangel’s in rhythmische Pixel-Flows übersetzte Programmierfehler seines Quick-Time-Players gehören zu den Klassikern jeder Ausstellung vom Bild nach dem Bild. Neu ist die unfreiwillige Ästhetik staatlicher Überwachungs- und Kriegstechnologien, die die Utrechter Ausstellung „Hacking Habitat“ derzeit zeigt. Mark Leckeys dramatischere Botschaft, dass Bilder keinen Urheber mehr haben, blieb auffallend unbeachtet.
Als ob es keine digitale Revolution gegeben hätte, zelebriert der Kunstbetrieb seinen Glauben an das unverwechselbare Original. In aufwändigen Retrospektiven wie der jüngst zu Hieronymus Bosch meint man freilich das letzte Aufbäumen einer Kunst zu spüren, die gegen ihre finale Verwandlung kämpft. Erst vor kurzem brach der berüchtigte „Pictorial Turn“ nicht nur über die Kunstwelt herein. Via Touch Screen, Computergrafik und Musik-Clips schien das Bild zum organisierenden Zentrum sozialer Kommunikation aufgerückt.
Ihrer neuen DNA setzte Gerhard Richter ein Denkmal, als er 2007 ein Kirchenfenster des Kölner Doms in Form eines grob gepixelten Computerbildes gestaltete. Doch selbst dieses Leitmedium ist inzwischen zur fluiden Größe geworden. Bilder sind nicht nur überall. Mit dem Smartfon und Bildbearbeitungsprogrammen kann jede(r) sie herstellen, manipulieren, speichern und in Sekunden um den Globus jagen.
Bilder werden ortlos, insofern sie, zumeist im Netz, ohne feste Referenz entstehen. Wenn heute, mehr noch als zu der Zeit, in der Joseph Beuys in jedem Menschen einen potentiellen Künstler sah, jeder Mensch all das kann, was diese Spezies bisher für ihre Kernkompetenz hält, nämlich Bilder herstellen, wozu braucht man dann diese noch? Die Herausforderung eines epochalen Umbruchs für die Kunst ist unübersehbar.
Wie jede neue kulturelle Etappe wird die der frei verfügbaren Bilder ihre Gegenbewegungen generieren: Die gute alte Authentizität wird aber auch die zyklisch wiederkehrende Renaissance des Tafelbildes nicht gäntlich zurückholen können, wenn die Künstler selbst den Fetisch Original destruieren: Gerade will das deutsch-irakische Künstler-Duo Nora Al-Badiri und Jan Nikolai Nelles das Bildnis der Nofretete erst als 3-D-Scan hergestellt und dann zum Download freigegeben haben.
Die Robert Rauschenberg-Foundation trat kürzlich die kluge Flucht nach vorne an: „Traditionelle Vorstellungen von Copyright und Versuche, die Bilder zu kontrollieren, haben sich als nicht kompatibel mit der Natur des digitalen Zeitalters erwiesen“, begründete sie ihren Schritt, den Gebrauch der Werke für „nichtkommerzielle, pädagogische und transformative Zwecke“ (gebühren-)frei zu geben. Mit anderen Worten: Macht damit, was ihr wollt!
In Kassel hat sie Michel Majerus die Lage noch fröhlicher auf den Punkt gebracht. In einem titellosen Ensemble von fast 100, 60x60cm großen Arbeiten hat er visuelle Zitate aus Kunstgeschichte, Game Culture und Cyberspace gesampelt. Da steht Nintendos Super Mario neben Motiven von Gerhard Richter. So hat er vorweggenommen, was die Kunstwelt erst langsam zu realisieren beginnt: Eine neue Egalität der Bilder.