Zombie-Abstraktion und tumbe Malerei. Christian Viveros-Fauné, der Kritiker des Online-Magazins „artnet“, war entsetzt. Beim Gang über die, jedes Jahr Anfang Dezember öffnende Art Basel Miami Beach, entdeckte er vor ein paar Jahren nur Kunst, die „schön, glitzernd und substanzlos bis zum Punkt“ war. „Leicht wie Luft“ müssten die Arbeiten sein, die den Mega-Reichen gefallen, die sich dort regelmäßig tummeln. Ihre kritische Kraft habe die dort angebotene Kunst in den „Mülleimer der Geschichte“ befördert, so grell und effekthascherisch wie sie sich dort gebe.
Wer das sagenumwobene Event schon einmal besucht hat, wird die Beschreibung nicht völlig abwegig finden. Trotzdem ist die Dependance der Art Basel im subtropischen Miami eine Ausnahme. Wurde sie doch eigens erfunden, um den frei flottierenden Mehrwert des panamerikanischen Geldadels abzuschöpfen. Der versteckt sich gern auf privaten, öffentlich nicht zugänglichen, infrarotüberwachten Luxus-Inseln in der Biscayne Bay zwischen South Beach und Miami. Die rund 500 Einwohner des knapp ein Quadratkilometer großen Fisher Island beispielsweise, Heimat von mehreren Dutzend Superreichen von Boris Becker über Madonna bis Arnold Schwarzenegger, bringt es auf das höchste Pro-Kopf-Einkommen der USA. Auf Star Island, schräg gegenüber, wohnte einst Mafia-Boss Al Capone.
Schon bei der deutschen Art Karlsruhe, einer viel weniger bekannten, aber überaus erfolgreichen Kunstmesse, geht es um weniger astronomische Summen als im Convention Center von Miami. Den bedächtigen Sammlern im reichen Dreiländereck zwischen Deutschland, der Schweiz und Frankreich, wird eher transatlantische Hausmannskost geboten. Hier gelten die Klassische Moderne und solides Skulptur-Handwerk noch was. Kunstmessen sind also nicht per se die Geburtsstätte einer besonders gefahrlosen und angepassten Kunst des 21. Jahrhunderts.
Natürlich sind sie Spiegel einer rapiden Globalisierung und Monetarisierung. Der „Kölner Kunstmarkt“ 1967, die erste internationale Kunstmesse, startete noch als Versuch der Demokratisierung der Kunst: Die kulturellen Schranken, die ein breites Publikum von der zeitgenössischen Kunst trennten, sollten abgebaut werden. Unvergessen das Bild, als Joseph Beuys, Klaus Staeck und Wolf Vostell mit der Aktion „Wir betreten den Kunstmarkt“ an die Türen des damals exklusiven Events klopften. Spätestens drei Jahre später, mit der ersten „Art Basel“ 1970, wurde aus dem neuen Instrument Kunstmarkt langsam aber sicher ein Vehikel der Kommerzialisierung. „Königin der Kunstmessen“ ist die Art Basel in erster Linie wegen ihrer Marktwirkung.
Heute versuchen weltweit rund 180 Kunstmessen, zukunftsträchtige Märkte zu erschließen. Und der fatale Trend, dass ein Begriff wie der „Wert der Kunst“ und das Dollarzeichen heute fast synonym geworden sind, hat auch etwas mit diesem Ausgreifen rund um den Globus zu tun. Doch dass Kunstmessen die Kunst „zerstört“ haben, wie Viveros-Fauné bitter konstatierte, kann nur glauben, wer Kunst für eine ökonomiefreie Zone hält, die vom Geld gleichsam überwältigt wurde.
Dass dieser Malstrom nivelliert, liegt auf der Hand. Immer mehr fungieren Kunstmessen als Bühnen der Selbstinszenierung einer lokalen (Geld-)Elite nach westlichem Vorbild, Playground einer globalen Celebrity-Kultur und Brutstätte der berüchtigten „Art Fair Art“. Andererseits ist ein Event wie die, mit kaum 20.000 Besuchern klitzekleine Art Beirut in dem von 15 Jahren Bürgerkrieg verheerten Libanon auch eine Möglichkeit, eine mehr als lokale Öffentlichkeit für die neu erwachte Kunstszene zu attrahieren, die neugierig auf die Welt ist und Käufer braucht, um zu überleben.
Dass sogar Luxus und Kritik Hand in Hand gehen können, zeigt ein anderes, glitzerverdächtiges Beispiel. Spötter halten die 2007 gegründete Art Dubai zwar für eine Art private Art-Shopping Mall von Sheikha Latifa, der Frau des örtlichen Potentaten Al Maktoum und ihrer Freundinnen. Doch auf kaum einer Messe wird so viel und demonstrativ politische Kunst gezeigt wie in der Hauptstadt der kunstbesoffenen Emirate.
Die Exponate im Luxushotel Madinat Jumeirah, Juwelen- und Luxusuhren-Lounge inclusive, sind zwar auch sehr teuer. Doch sie belegen das Ringen um eine eigene Bildsprache, die Wiederentdeckung der arabischen Moderne. Die Art Dubai hat sich auch zu einem der wichtigsten, internationalen Präsentationsorte der zeitgenössischen iranischen Kunst entwickelt. Und das „Global Art Forum“ der Messe ist eines der spannendsten Diskurs-Foren für eine neue Politik des 21. Jahrhunderts. Vergangenes Jahr präsentierte der kanadische Autor Douglas Coupland dort unter dem Motto: „The Age of Earthquakes“ seinen Versuch, Marshall McLuhans legendäre Analyse „The Media is the massage“ auf die „extreme Gegenwart“ fortzuschreiben.
In den gut zehn Jahres Ihres Bestehens hat sich die Art Dubai, ähnlich wie die Biennale im benachbarten Scheichtum Sharjah, zu einer Art kulturellem Entwicklungsmotor der Region entwickelt: Ein Galeriezentrum entwickelte sich ebenso wie Residencies, Zeitschriften, Independent Art Spaces und eine Art örtlicher Diskurs. Für die angeblich tödliches Verderben bringenden Kunstmessen gilt also dasselbe wie für Beton: Es kommt drauf an, was man draus macht.
Gefahr droht hier weniger von der Ausbreitung des Marktes als von dessen Standardisierung und Kontrolle. In diesem Frühjahr hat nämlich die MCH-Group, die Trägergesellschaft der Art Basel, angekündigt, ein „neues Portfolio führender regionaler Kunstmessen“ zu etablieren. Eine lokale Messe in Hongkong hatte sie schon 2013 in ihren viel beachteten Ableger Art Basel Hongkong verwandelt – das südostasiatische Pendant der Art Basel Miami. In diesem Herbst übernahm sie zusätzlich die indische Kunstmesse in Neu Delhi.
Derzeit verhandelt sie angeblich mit der Art Brussels, die die engagierte Kuratorin Katerina Gregos in vier Jahren zu dem ungewöhnlichen Hybrid einer „politisch und sozial engagierten“ Messe empor kuratiert hat. Ein Auge hat die MCH auch auf die Istanbuler ArtInternational des britischen Messepioniers Sandy Angus geworfen und – neuestes Gerücht – auf die Art Dubai. MCH, im Untertitel „Global Live Marketing“, beteuert zwar, die neuen Messen sollten von „autonomen Teams“ geleitet werden. Die Gefahr eines Monopols und kultureller Uniformierung – zwei globale Flaggschiffe, umschwirrt von einem Schwarm regionaler Beiboote – liegen dennoch auf der Hand. Einheitsware verdrängt die Vielfalt kleiner, vor Ort entstandener Labels. Das wäre womöglich viel eher der Tod der Kunst: Wenn für ihre Messen das Motto gälte: Eine für alle.