„Erste schwarze Kuratorin“. Fest haftet dieses (Medien-)Etikett an Gabi Ngcobo, seit die afrikanische Künstlerin und Kuratorin im Dezember 2016 als neue Kuratorin der 10. Berlin-Biennale (BB) benannt wurde. Einerseits ist das verständlich.
Denn die von der Bundeskulturstiftung als „kulturelle Spitzeneinrichtung“ mit drei Millionen Euro pro Ausgabe geförderte Kunst-Biennale ist eine der wichtigen Biennalen weltweit. Der Generationen-, Perspektiv- und, ja, der Wechsel der Hautfarbe, der mit der Wahl der 1974 in Johannesburg geboren Frau verbunden ist, ist natürlich ebenso bemerkens- wie berichtenswert.
Andererseits behagt der Unterton, der mit dem Label verbunden ist, der 36jährigen Frau sichtlich nicht. Beim Gespräch an einem eiskalten, sonnigen Februartag in ihrem Büro unter dem Dach der Kunst-Werke in der Auguststraße beklagt sich Ngcobo, dass auch in Deutschland mehr von den „schwarzen KuratorInnen“ gesprochen wird als von ihrer Arbeit.
Neben ihr arbeiten Moses Serubiri (Kampala), Nomaduma Rosa Masilela (New York), Thiago de Paula Souza (São Paulo) und Yvette Mutumba (Berlin) mit ihr im kuratorischen Team der Jubiläumsausgabe der Biennale.
„Kunst ist das neue Schwarz“, ein Artikel der „Süddeutschen Zeitung“ über den derzeitigen Afrikaboom im Kunstbetrieb vor kurzem, in dem auch ihr Team unter diesem Titel subsumiert wurde, hatte deshalb hinter den Biennale-Kulissen für Verstimmung gesorgt. „Als ob unsere einzige Expertise wäre, schwarz zu sein. Diese Art von Rassismus hält einen davon ab, seine Arbeit zu tun“, zitiert Ngcobo seufzend im Gespräch die amerikanische Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison.
Dass es der Kuratorin in erster Linie um Kunst und nicht um Politik gehen soll, kann man schon daran sehen, dass im offiziellen Statement der Biennale das Wörtchen „postkolonial“ nicht vorkommt. Stattdessen findet sich darin ein Satz wie aus dem Lehrbuch der Bundeszentrale für Politische Bildung: „Wir interessieren uns für alternative Konfigurationen von Wissen und Macht, die Widersprüche und Komplikationen zulassen.“ Dennoch hatte es sich Ngcobo nicht nehmen lassen, die Frage nach den Zielen ihrer Schau so plakativ zu antworten, wie sie es sonst nicht mag.
„Wir sind doch alle postkolonial“ hatte sie vor Jahresfrist in einem Interview zu der Frage gesagt, die in Berlin angesichts der Debatten um das Humboldt-Forum und die Provenienz-Forschung in deutschen Museen so unübersehbar im Raum steht.
„Man sollte aber vermeiden, solche Begriffe zur Metapher gerinnen zu lassen“ erklärt die skrupulös argumentierende, ihr Gegenüber skeptisch beäugende Kuratorin im Gespräch. Dennoch dürfte beim Biennale-Jubiläum all das, was gemeinhin unter „Dekolonisierung“ subsumiert wird, eine Rolle spielen.
Schließlich stand der Ansatz, Machtstrukturen mit „Gegennarrativen“ zu konterkarieren, mit am Beginn der „Karriere“ der 1974 Geborenen: Der Gründung der Plattformen NGO – Nothing Gets Organised und Center for Historical Reenactments (CHR) in Johannesburg.
Er führte sie zur Cape07-Biennale in Kapstadt vor zehn Jahren und 2016 nach Sao Paulo. Der „process of unlearning“, auf den Ngcobo setzt, klingt nach einem umstrittenen Slogan der letzten Documenta Adam Szymczyks. Die Formel von dem „politischen Potenzial von Strategien der Selbsterhaltung“ dagegen angenehm postheroisch.
Im Sommer wird sie freilich beweisen müssen, dass sie derlei Rhetorik in Ästhetik übersetzen kann. Wenn sie nächste Woche die Spielstätten der Biennale bekannt gibt, dürften sich erste Umrisse der 10. BB abzeichnen. Im Jubiläumsjahr der Biennale soll es aber auch darum gehen, deren Geschichte kritisch zu reflektieren.
An der Spree ist Ngcobo keine völlig Unbekannte. 2008 nahm sie an der zweiten Ausgabe des Young Curators Workshop „Eyes Wide Open“ auf der 5. Berlin Biennale teil und 2014 präsentierte ihr Center for Historical Reenactments sein Projekt „Digging Our Own Graves 101“ im Rahmen der 8. Berlin Biennale.
In der Hauptstadt scheint sie sich eingelebt zu haben. Keine Eröffnung, auf der man sie nicht im Gespräch mit AkteurInnen der Kunstszene trifft. Trotzdem achtet sie auf Abstand zum Betrieb, steht dem Berlin-Hype reserviert gegenüber.
„Ich möchte wirklich in der Stadt sein, nicht bloß in einem Hof“ begründet sie, warum sie nicht in das Appartement gezogen ist, dass die Kunst Werke ihren jeweiligen KuratorInnen in ihren Räumen in der Auguststraße zur Verfügung stellt, sondern in den Wedding.
Vielleicht hat diese Umgebung sie dazu inspiriert, das Auftaktprogramm der Biennale mit dem dort ansässigen Verein Each-One-Teach-One (EOTO) zu gestalten. Das Community-basierte Bildungs- und Empowerment-Projekt in Berlin versteht sich als Ort der Begegnung und des Lernens.
Die Initiative stellt als Kiez-Bibliothek Literatur von Menschen afrikanischer Herkunft vor und vermittelt Wissen im Dialog zwischen den Generationen. „Es ging darum, auf die Community zuzugehen. Und wir wollten nicht nur geographisch aus Berlin-Mitte heraus“ erklärt Yvette Mutumba das Anliegen der Biennale.
Persönliches gibt Ngcobo ungern preis, provokante Sprüche, wie viele ihrer Kuratoren-Vorgänger sie liebten, meidet sie. Journalistische Home-Stories sind ihr erkennbar ein Gräuel. Natürlich geht es der Frau schon um „Change“ in der Welt wie in der Kunst.
Doch der fängt für sie bei jedem Einzelnen an. „Jeden Morgen, wenn ich in den Spiegel schaue, frage ich mich, kann ich mich selbst ändern? Das ist ja kein nine-to five-Job.“ Nicht umsonst hat sie die Biennale „We don’t need another hero“ übertitelt.
Die Frage nach Vorbildern wie ihren einflussreichen, rund zehn Jahre älteren Kollegen Okwui Enwezor aus Nigeria oder Simon Njami, dem französischen Kurator mit afrikanischem Hintergrund, wimmelt sie entnervt ab. Offenbar will sie auch an sich selbst die vertrackte Dialektik des Mottos ihres Auftaktprogramms beweisen: „I’m not who you think, I’m not“.