Bleibt Türkiye, so heißt die Türkei seit neuem auf Geheiß ihres Dauerpotentaten, doch modern? Schwer zu sagen, ob Recep Tayyip Erdoğan diese Message senden wollte, als er 19. Mai im Kunstmuseum Istanbul Modern aus den Händen von Oya Eczacıbaşı ein großes Bild des Hauses entgegennahm.
Seit Monaten hatte die türkische Kunstszene gerätselt, wann der Neubau des 2004 in einer Lagerhalle an der Uferpromenade des Stadtteils Karaköy am alten Hafen von Istanbul eröffneten Kunstmuseums endlich öffnen würde. Der langgestreckte Bau, den der Industriellenclan Eczacıbaşı bei dem Architekten Renzo Piano in Auftrag gegeben hatte und an ein Schiff erinnert, war seit Monaten fertig, Nachfragen, wann es denn nun endlich losgeht, wurden aber ausweichend beantwortet.
Offenbar scheute die Unternehmerfamilie, die auch die Istanbul Kültür Sanat Vakfi (IKSV-Stiftung) betreibt, die die 1987 gegründete Istanbul Biennale ausrichtet, die Zeit vor den Wahlen. Schließlich öffnete das Haus am 4. Mai still und leise seine Pforten für das normale Publikum.
Doch so wie schon der Architekt Erol Tabanca sein privates Kunstmuseum Odunpazarı in Eskişehir 2019 nur in Erdoğans Anwesenheit eröffnen durfte, kamen auch die Eczacıbaşıs in Istanbul nicht um den allgegenwärtigen Staatschef herum.
Offizieller Anlass für den Auftritt auf dem Terrain der säkularen Kultur, die Erdoğan sonst gern mit Hassreden überzieht, war der „Tag der Jugend und des Sports“. Dafür hätte es auch das nahe Sportstadion getan. Doch Taktiker Erdoğan wollte die Kulisse des kulturellen Leuchtturms für die zweite Wahlrunde am 24. Mai instrumentalisieren.
Eine Kampfansage an die Moderne wurde die Präsidentenrede zwar nicht. Vor der Wahl wollte er offenbar keine schlafenden Hunde wecken. Ein etwas müde wirkender Erdoğan lobte seine Erfolge bei der Rettung der osmanischen Kulturgüter und wünschte dem Museum viel Glück.
Doch die gequälten Gesichter von Bülent Eczacıbaşı und seiner Frau Oya, der Direktorin des Museums, bei Erdoğans 20minütiger Ansprache wirkten wie ein Sinnbild für die Lage der Kunst in der Türkei am Vorabend seines mutmaßlichen Siegs: Gute Miene zum autoritären Spiel machen.